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,, Findest du Peking besser oder Schanghai?"

2010-08-18

 

Die zwei chinesischen Metropolen zu einer neuen Kategorie von Städten. Sie haben vorgemacht, was Zukunft bedeutet

Von Till Fähnders

Peking/Schanghai. Das staubige Treppenhaus hinab, hinaus auf die Straße. Zwischen Baustellen, Bürogebäuden, in Fußgängertunneln und auf Hausdächern findet der Pekinger Künstler Wen Ling seine Motive. Seine kleine digitale Nikon nimmt auf, was Wen Ling sieht. Auf seinem Fotoblog ,, ziboy" fügen sich seine Bilder zu einem Panorama des Pekinger Alltags zusammen: ein namenloser Junger, der für Geld einen Handstand macht, eine graue Gasse mit Spuren nasser Fahrradreifen auf der Fahrbahn, der kühn aufragende Neubau des Staatsfernsehens. ,, Es ist ein Lebensstil. Überall, wohin ich gehe, ist die Kamera dabei", sagt Wen Ling. Der Künstler hat verwuschelte Haare, trägt ein einfaches T-Shirt. Er fotografiert, zeichnet Comics, malt Ölbilder, entwirft Animationen. ,, In Peking kann man von so etwas leben", sagt Wen Ling. ,, Dies ist eine Stadt für Idealisten."

In China spielt es immer eine große Rolle, wo einer herkommt. Wen Ling ist ein waschechter Pekinger. Denn Chinas Hauptstadt ist nicht nur der Sitz der Regierung, nicht bloß Tagungsort für Volkskongress und Zentralkomitee. Sie ist eine Stadt, in der sich Künstler und Literaten, Kreative und Bohemiens versammeln. Für die geschäftstüchtigen Schanghaier haben die Menschen in Peking nur Verachtung übrig. Zwischen den beiden Metropolen gibt es eine langjährige Rivalität. ,,Findest du Peking besser oder Schanghai? ", wird fast jeder Besucher von den einheimischen gefragt. Sie wenden damit unwillkürlich eine Methode der modernen Stadtforschung an. Schließlich macht erst der Vergleich die Eigenart einer Stadt deutlich.

Die Topographie, der Aufbau, das Klima und die Geschichte geben einer Stadt ihren Charakter. Peking ist Chinas alter Kaisersitz. In der Mitte liegt ihr Machtzentrum, die ,,Verbotene Stadt ". Davor erstreckt sich der Platz des Himmlischen Friedens mit fast 440 000 Quadratmetern, der angeblich größte innerstädtische Platz der Welt. Hier ist die Aura der Macht zu spüren. Denn Chinas autoritäre Herrschaftsstruktur schlägt sich auch in der Stadtplanung nieder. Peking ist eine weitläufige Metropole mit breiten Straßen und wuchtigen, flachen Gebäuden im Zentrum (dort ist der Bau von Häusern über eine bestimmte Höhe hinaus untersagt ). Der einzelne Mensch fühlt sich dazwischen sehr klein. Auch die Modedesignerin Lala stammt aus der Hauptstadt, aber seit einigen Jahren ist Schanghai ihre Wahlheimat. Sie schwärmt für die alte Kolonialarchitektur und die vielen Geschäfte. In einer ehemaligen Autowerkstatt im französischen Viertel Schanghais zeichnet sie ihre Entwürfe. Sie macht urbane Mode mit ungewöhnlichen Schnitten, trägt schwarze Fingernägel und einen schmalen grauen Filzhut: ,, In Schanghai legen die Menschen viel Wert auf ihr Äußeres. Es ist egal, ob sie alt, jung, arm oder reich sind oder ob sie in den alten Häusern wohnen – wenn sie rausgehen, ziehen sie sich gut an."

Die moderne Hafenstadt Schanghai knüpft auch als Modemetropole wieder an alte Blütezeiten in den zwanziger und dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts an, als sich europäische Händler, jüdische Flüchtlinge und chinesische Gangsterbosse versammelten, um eine der quirligsten Städte der Welt zu schaffen. Als Kolonialstadt wurde Schanghai stark von den Europäern und Amerikanern beeinflusst, die an der Prachtstraße ,, Bund" und in der früheren französischen Konzession ihre Architektur hinterlassen haben. Doch unter den Kommunisten verlor das dekadente Schanghai an Bedeutung. Erst 1992 erweckte Deng Xiaoping die Stadt wider zum Leben. Heute ist Schanghai wieder Chinas wichtigstes Wirtschafts- und Finanzzentrum. Es wachsen unzählige Wolkenkratzer in die Höhe. Doch anders als oft vermutet ist Schanghai nicht unbedingt die progressivere, offenere Stadt. Politisch denkt man hier eher orthodox. Auch die Architektur ist nicht so waghalsig wie in Peking.

Das interessanteste an dem Städtevergleich ist, dass sich die Mentalitätsunterschiede auch in dem Aufbau der beiden Städte wiederspiegeln. Peking hat einen Grundriss, der wie ein Schachbrett aussieht. Die Stadt wurde in der Kaiserzeit nach der chinesischen Vorstellung des Kosmos aufgebaut, mit geraden Linien und dem Kaiser und seiner ,,Verbotenen Stadt" im Zentrum. Im hierarchisch geprägten China gibt es eine Vorliebe für lineare Achsen. Deswegen sind in Peking auch wichtige Gebäude der Gegenwart auf diesen Achsen gebaut worden, wie das Olympia-Stadion auf der Nord-Süd-Achse und das Staatsfernsehen auf der Ost-West-Achse. Die Pekinger sind an diesen Grundriss ihrer Stadt so gewöhnt, dass sie bis heute nicht von ,,links" oder ,,rechts" sprechen, wenn jemand sie nach dem Weg fragt, sondern von ,,West" und ,,Ost".

Anders sieht es in Schanghai aus. Dort sitzt in einem Café der Deutsche Marcus Hernig und hält einen alten Stadtplan hoch. Der Sinologie, der seit 1998 in Schanghai lebt, bietet zusammen mit einigen anderen ausgewanderten Deutschen unter dem Titel ,,Schanghai Flaneure" Spaziergänge durch die Metropole an. Er berichtet an diesem Morgen einer Gruppe deutscher Touristen, wie die Hafenstadt einst aufgebaut wurde: Bevor in der Mitte des 19. Jahrhunderts die Kolonialmächte kamen, war Schanghai nicht mehr als ein Vorort von Suzhou gewesen, einer Handelsstadt in der Nachbarprovinz Jiangsu. Das ursprüngliche Gebiet war durch Bewässerungskanäle im Norden, Süden, Osten und Westen begrenzt. Der östliche Kanal wurde später zum Huangpu ausgebaut, dem heutigen Stadtfluss, der das alte Puxi von den Neubauvierteln in Pudong trennt. Doch der Aufbau der Stadt veränderte sich mit der Ankunft der Fremden aus Europa, Amerika und Asien. Briten, Franzosen, Amerikaner und Japaner siedelten sich in jeweils eigenen Gebieten an. Schanghai ähnelt deshalb heute noch einer europäischen Stadt. Die Straßen scheinen organisch zu einem Zentrum hin zu streben., das in der Nähe des Flussufers liegt.

Auch für Peking und Schanghai gilt, dass die Menschen ihre Stadt formen, aber auch die Stadt ihre Menschen. In China gibt es heute eine neue ,,Gründerzeit" der Stadtentwicklung, und zwar mit riesigen Dimensionen. Chinesische Megastädte wachsen pro Jahr, schon jetzt gibt es weit über hundert Millionenstädte. Die Metropolen Schanghai und Peking nehmen die Zukunft vieler dieser Städte vorweg. In beiden Städten vermischen sich Lebensstile traditioneller chinesischer Art und aus dem Westen Importiertes. Hochhäuser schießen in den Himmel, Hofhäuser werden dem Boden gleichgemacht. Die eine Stadt veranstaltet Olympische Spiele (,,Beijing welcomes you"), die andere zeigt eine Weltausstellung (,,Better city, better Life"). Die Menschen verschanzen sich immer mehr in ,, gated communities" mit hohen Toren, Kameras, Schranken am Eingang und Wachleuten davor.

Diese Megastädte sind urbane Landschaften, deren Größe kaum mehr zu überschauen ist. Peking zählt Ende 2009 offiziell 17,55 Millionen Einwohner, Schanghai 19,21 Millionen. Dafür ist die Fläche Pekings deutlich größer. Das traditionelle Leben in der Hauptstadt ist vielleicht auch deshalb etwas gemächlicher. Der Pekinger ist gelassen, ehrlich, rauh und direkt. Selbst die Ausländer, die nach Peking kommen, sind anders als in anderen chinesischen Städten. Neben den Geschäftsleuten sind es viele Diplomaten, Reporter, Studenten und Lebenskünstler. Die Nähe zur politischen Macht hat aber auch eine gewisse Widerständigkeit zur Folge. Das macht die Stadt so widersprüchlich. In Peking wohnen die bekanntesten Dissidenten, und hierher kommen Beschwerdeführer aus dem ganzen Land.

Die Schanghaier sind dagegen Händler, pflegen einen hektischeren Lebensstil, sind manchmal kleinlich und ihrem Ruf nach auch etwas hochnäsig. Ihre Mentalität wird durch die Kolonialgeschichte sowie die Lebendigkeit im Stadtzentrum geprägt. Auf den Straßen herrscht ein unaufhörliches Gewusel aus Autos, Motorrollern und Elektro-Fahrrädern.

Mian Mian ist Schriftstellerin und fühlt sich von der Stadt offensichtlich überfordert, was aber auch daran liegen mag, dass sie die Nacht zuvor auf einer recht wilden Party war. Das passt ins Bild, denn Mian Mian schreibt Bücher, in denen die Protagonisten durchs Schanghaier Nachtleben streuen. Ihre Geschichten handeln von Sex und der Einsamkeit der Großstädter – sie gelten wohl auch deshalb als typische Schanghai-Literatur. Trotzdem spielt Mian Mian mit dem Gedanken, ihrer Heimatstadt den Rücken zu kehren. ,,Es ist zu laut. Ich gehe kaum noch raus, nur noch zum Flughafen und zurück", sagt sie. Denn das ist etwas, was die Schanghaier und Pekinger wohl gemeinsam haben: Sie beschweren sich auch gerne mal über das Leben in ihrer Stadt.

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