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"Deutschland profitiert von Chinas Aufschwung"

2010-09-06

Von Frank Stocker

Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, zerstreut die Ängste, die es wegen des chinesischen Booms gibt.

Soeben ist er von einer einwöchigen Reise durch Asien zurückgekehrt. Dort traf Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, bei Vorträgen an den Außenhandelskammern zahlreiche Unternehmensvertreter. Noch Tage darauf ist er begeistert, denn nicht nur China boomt weiter. Es hat Deutschland mitgerissen und sorgt hier für Wachstumsraten, wie sie lange nicht mehr gesehen wurden. Die Probleme, die sich ergeben könnten, hält er für beherrschbar.

Welt am Sonntag: Was hat Sie bei Ihrer Reise am meisten beeindruckt?

Jörg Krämer: Wenn man in einem Wolkenkratzer in Shanghais Finanzzentrum Pudong sitzt, blickt man auf mehr Hochhäuser als in New York. Das hat mich beeindruckt. Man fühlt die Dynamik. Das können die hinlänglich bekannten Zahlen und Statistiken zu China nicht bieten.

Welt am Sonntag: Und wie sieht diese Dynamik konkret aus?

Krämer: Man kann das vielleicht mit den 50er-Jahren in Deutschland vergleichen, oder, noch passender, mit den Gründerjahren nach 1871, als in Deutschland die Industrialisierung einst mit großen Schritten voranging und die Städte rasch wuchsen. So ähnlich ist das heute in China. Und kein Land profitiert davon so stark wie Deutschland. Derzeit exportieren wir noch etwas mehr in die USA als nach China. Doch mit etwas Glück könnte China schon in zwei Jahren ein wichtigerer Markt sein als die USA.

Welt am Sonntag: Ist das denn wirklich "Glück" für die deutschen Firmen? Sie begeben sich damit letzten Endes doch nur in eine neue Abhängigkeit.

Krämer: Was heißt Abhängigkeit? Handel schafft keine Abhängigkeiten, sondern wechselseitige Beziehungen. Wir sollten uns freuen, dass die Asiaten die hierzulande hergestellten Produkte so stark nachfragen. Schließlich bieten wir gute Produkte zu wettbewerbsfähigen Preisen an. In gewissem Sinne entsteht heute zwischen China und Deutschland eine neue Wachstumsachse der Weltwirtschaft.

Welt am Sonntag: Es gibt derzeit also offenbar eine Zweiteilung der Welt, mit schwachem Wachstum in den angelsächsischen Ländern und einem Boom in den Schwellenländern und bei uns.

Krämer: In den USA und Großbritannien ist der Anteil des verarbeitenden Gewerbes deutlich geringer als bei uns. Deutschland ist nicht deindustrialisiert, so wie es, überspitzt gesagt, die USA und Großbritannien sind. Davon profitiert Deutschland heute, ebenso wie von der jahrelangen Lohnzurückhaltung und den starken Produktivitätszuwächsen.

Welt am Sonntag: Sie sprechen von einer neuen Wachstumsachse zwischen China und Deutschland. Die Achse der vergangenen Dekade, zwischen den USA und China, ist dramatisch zusammengekracht. Kein gutes Vorbild.

Krämer: Sie spielen auf die Risiken an, die es natürlich auch in China gibt. Aber viele machen dabei einen Fehler: Sie schauen immer mit der westlichen Konjunkturbrille auf China. Wenn bei uns ernsthafte Schwierigkeiten auftauchen, dann rutschen wir schnell in die Rezession. Das gilt aber nicht für Länder, die sich in einem wirtschaftlichen Aufholprozess befinden, in denen sich eine Mittelschicht herausbildet, die mithilfe der Bildung alles daran setzt, dass es ihren Kindern einmal besser geht. Daraus ergibt sich ein sich selbst tragender Aufschwung, der nicht auf breiter Front einknickt, wenn in einigen chinesischen Städten teure Appartements leer stehen. China ist heute vergleichbar mit dem Deutschland der 50er- und 60er-Jahre. Auch damals gab es Krisen. Aber wenn eine Volkswirtschaft eine hohe Grundgeschwindigkeit hat und die Menschen an die Zukunft glauben, dann wird die Wirtschaft nicht aus der Bahn geworfen. Chinas wirtschaftlicher Aufholprozess ist selbsttragend.

Welt am Sonntag: Er ist wohl eher von Exporten getragen. Und diese sind derzeit in Gefahr, aufgrund der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in den USA.

Krämer: China hat in der zurückliegenden Rezession bewiesen, dass es sein Wachstum weitgehend aufrechterhalten kann. Zwar sind damals die chinesischen Exporte eingebrochen, aber das Land kam am schnellsten und mit geringen Blessuren aus dem Tief heraus. Das war möglich wegen der hohen Grundgeschwindigkeit der chinesischen Wirtschaft und weil die Regierung per Dekret die Kreditvergabe ihrer Banken massiv ausweitete. Und heute will die Regierung den Konsum stärken.

Welt am Sonntag: Das bedeutet Lohnerhöhungen, was der Wettbewerbsfähigkeit schadet.

Krämer: In China sind die Löhne der Arbeiter jahrelang langsamer gestiegen als die gesamtwirtschaftlichen Einkommen, der Kuchen ist zwar stetig gewachsen, die Arbeiter haben aber einen immer kleineren Anteil bekommen. Das geht nicht auf Dauer, und das beginnt sich zu ändern. Dennoch betragen die Arbeitskosten immer noch nur einen Bruchteil dessen, was in Europa oder Amerika bezahlt wird. Selbst wenn nun die Löhne deutlich steigen, bleibt diese Differenz enorm.

Welt am Sonntag: Das klingt, als ob die Regierung alles im Griff hat. Tatsächlich hat sie mit ihren Konjunkturprogrammen zwar die Wirtschaft durch die Rezession bugsiert, aber gleichzeitig eine riesige neue Blase von faulen Krediten geschaffen. Allein die Provinzregierungen sollen Darlehen im Wert von rund 800 Milliarden Euro aufgenommen haben, angeblich werden 23 Prozent davon wohl nie zurückgezahlt. Dagegen waren deutsche Landesbanken ja Waisenknaben.

Krämer: Wenn das Kreditvolumen in einem Jahr um ein Drittel steigt, werden zwangsläufig nicht nur rentable Projekte finanziert. Aber das gab es in China auch früher, und am Ende hat die Regierung die faulen Kredite übernommen. Peking hat das Geld dafür. Außerdem wächst die Wirtschaft stark. Dadurch sinkt das Verhältnis von faulen Krediten zum Bruttoinlandsprodukt automatisch. In stark zulegenden Ländern wachsen sich solche Probleme leichter aus.

Welt am Sonntag: Wenn nicht noch ein Debakel am Immobilienmarkt dazukommt.

Krämer: In den großen Städten gibt es wohl eine Preisblase. Investoren haben Häuser und Wohnungen häufig nur deshalb gekauft, weil sie auf steigende Immobilienpreise spekulierten. Aber wenn man nicht nur auf die großen Städte schaut, sondern auf das Land als Ganzes, dann sieht es entspannter aus. Das kann man nicht vergleichen mit den Übertreibungen, die wir vor einigen Jahren in den USA und Großbritannien gesehen haben.

Welt am Sonntag: Die Leute kaufen auch deshalb Häuser, weil sie keine Alternativen haben, wo sie ihr Geld gewinnbringend investieren könnten.

Krämer: Das ist in der Tat ein Problem. Die Flut der Ersparnisse ergießt sich auf zu wenige Anlageformen, und dann kann es in einzelnen Bereichen zu Übertreibungen kommen. Die Regierung versucht dem administrativ Herr zu werden, aber das staut die Nachfrage nur zurück. Langfristig geht kein Weg daran vorbei, einen aufnahmefähigen Kapitalmarkt zu schaffen. Dieser entwickelt sich langsam, aber stetig. Erst in der vergangenen Woche begab beispielsweise McDonald's erstmals eine auf chinesische Yuan lautende Anleihe in Hongkong.

 

Welt am Sonntag: Die Kapitalmärkte sind aber weiter abgeschottet, und die Regierung manipuliert derweil die Währung.

Krämer: Natürlich hat China eine unterbewertete Währung. Damit will die Regierung den Export fördern. Das war in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ähnlich. Die Mark stand damals meist unter Aufwertungsdruck. Erst im Jahre 1973 wurde dann der Wechselkurs der Mark gegenüber dem Dollar endgültig freigegeben.

Welt am Sonntag: Und wann wird der Yuan schließlich voll konvertibel sein?

Krämer: Das wird mindestens noch zehn Jahre dauern.

Welt am Sonntag: Trotz nicht-konvertibler Währung investieren chinesische Firmen allerdings bereits stark im Ausland. Viele fürchten, dass sie auf diese Weise langfristig unsere Firmen und unsere Technologie einfach aufkaufen.

Krämer: Diese kritische Wahrnehmung ist erstaunlich. Denn die Chinesen sehen auf der anderen Seite Deutschland sehr positiv, nicht nur wegen der schönen Autos, die wir produzieren. Es gibt auch eine starke kulturelle Sympathie. Bei uns dagegen wird die Wirtschaft Chinas vorrangig als eine Gefahr für uns gesehen. Aber warum sollte China nicht bei uns investieren? Wir haben dort auch viel investiert. Natürlich muss man immer genau hinschauen, wenn es um sensible Bereiche geht. Aber dafür gibt es ja Vorkehrungen, beispielsweise im Außenwirtschaftsgesetz.

Welt am Sonntag: Was braucht China kurz- bis mittelfristig am nötigsten?

Krämer: Rechtssicherheit und eine korruptionsarme Verwaltung.

Welt am Sonntag: Und wenn wir nun schon eine gemeinsame Achse bilden: Was könnten wir von China lernen?

Krämer: Glaube an die Zukunft.

(Quelle: Die Welt Online 05.09.2010)

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