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Was Deutschland von den Chinesen lernen kann

2011-04-30
 

Auf 30 satte Jahre folgen 30 magere: Bevor das große demografische Problem auftritt, muss China vorgesorgt haben. Was Deutschland von den Chinesen lernen kann

Als Angestellter einer Speditionsfirma verdient Hu Xinwei für chinesische Verhältnisse gar nicht mal so schlecht. Rund 8000 Yuan bringt der gelernte Kaufmann im Monat nach Hause. Für Miete, Strom und sonstige Lebenshaltungskosten gibt der 29-Jährige vielleicht 4000 Yuan aus. Üppig ausgestattet hat er seine rund 40 Quadratmeter große Wohnung am nördlichen Stadtrand von Peking dennoch nicht. Ein Metallbett steht in einer Ecke des Zimmers, ein paar Kisten fliegen herum, in denen er seine Kleidung verstaut, dazu ein Klapptisch und ein alter Röhrenfernseher. Seit er vom Nierenleiden seines Vaters erfahren habe, spare er. "Man kann nie wissen, welche Ausgaben für medizinische Versorgung noch anstehen."
Hu ist bei weitem nicht der Einzige, der sein Geld auf die hohe Kante legt. (…)

Ökonomen im Westen schütteln manchmal mit dem Kopf, wenn sie sich den immer weiter steigenden Währungs- und Devisenschatz der Chinesen anschauen. Auf knapp drei Billionen US-Dollar ist der Wert bereits gestiegen. Und ein Ende ist nicht abzusehen. Viele unken bereits, dass dieser Schatz Chinas wertlos ist. Die Chinesen hätten jahrelang für wertloses Papier geschuftet.

Ob die Kalkulation genau aufgeht, bleibt dahingestellt. Was die chinesische Führung aber damit ausdrücken möchte: Bevor das große demografische Problem auftritt, muss China vorgesorgt haben. Es muss bis dahin über ein funktionierendes Gesundheitssystem verfügen. Es muss bis dahin allen seinen Menschen genügend Wohnraum verschafft haben. Es muss bis dahin technologisch so fortgeschritten und innovativ sein, dass es auch eine Bevölkerung versorgen kann, von der sich 30 Prozent im Invalidenalter befinden. Und es muss im Bereich der Bildung an der Weltspitze stehen. Denn wenn die Volksrepublik nicht mehr mit Arbeitsmasse auf dem Weltmarkt brillieren kann, muss sie dies mit klugen Köpfen tun. Bei allen Sozialprogrammen ist der Countdown auf das Jahr 2020 gestellt. Danach beginnt für China tatsächlich eine neue Zeitrechnung. Ab dann schrumpft die Bevölkerung.

Die Erlöse aus der Exportwirtschaft werden der Garant dafür sein, den bis dahin erzielten Wohlstand erhalten zu können. Allerdings ist es so, dass die momentan so gigantische Summe von bis 2020 vielleicht acht oder zehn Billionen US-Dollar dann nicht mehr so groß erscheint – immerhin gilt es dann, eine Durststrecke von rund 30 Jahren durchzustehen. Dieser Devisenschatz könnte angesichts sich umkehrender Handelsbilanzen in einem ähnlichen Tempo dahinschmelzen, wie er gewachsen ist. Aktuell geht die chinesische Regierung verstärkt auf Einkaufstour, um dieses Vermögen schon jetzt langfristig gewinnbringend anzulegen.

Auch das ist zugegebenermaßen eine fiktive Berechnung. Denn wer mag sich schon genau ausmalen, wie sich die Welt in den kommenden 40 Jahren entwickeln wird. Falsch ist es aber sicherlich nicht, sich so weit im Voraus Gedanken zu machen. Der demografische Wandel lässt sich nicht wegleugnen. So fantastisch ist dieses Szenario auch gar nicht. Von China aus genügt ein Blick in den Osten auf den Nachbarn Japan. Die niedrigen Wachstumsraten der Japaner in den vergangenen Jahren sind in einem nicht geringen Maße damit zu erklären, dass der Inselstaat bereits in die Phase der Überalterung seiner Gesellschaft eingetreten ist. Hätte Japan in den Jahren zuvor nicht ähnlich erfolgreich gewirtschaftet und so viel Energie in den technischen Fortschritt gesteckt, wie es die Chinesen derzeit tun, stünde es heute sehr viel schlechter da. So ist Japan trotz seiner nun langsam schrumpfenden Bevölkerung und Volkswirtschaft nach wie vor eines der wohlhabendsten Länder der Welt. So wie die Japaner vorgesorgt haben, wollen dies nun auch die Chinesen tun.

Wenn auch nicht in dem Ausmaß wie in China – die demografische Zeitbombe tickt auch in Europa, allen voran in Deutschland. Doch bis auf Kürzungen im Sozialbereich und den Vorschlag zu mehr privater Vorsorge hat die deutsche Politik bislang nur wenig dargelegt, wie sie mit dem Problem der alternden Bevölkerung umgehen will. Nun lassen sich China und Deutschland nicht eins zu eins miteinander vergleichen. Zwar handelt es sich sowohl bei China als auch bei Deutschland um ein Land, das in den vergangenen zehn Jahren enorme Exportüberschüsse erzielt hat. Doch während China seine Binnenkonjunktur über den Aufbau eines Sozialversicherungssystems ankurbeln kann, hat Deutschland dieses Mittel nicht. Deutschland verfügt bereits über ein umfassendes Sozialsystem.

Indirekt gibt es aber schon Parallelen. Im Vergleich mit anderen Industriestaaten hat auch Deutschland mit knapp zwölf Prozent eine hohe Sparrate. Und auch hier wird so viel auf die hohe Kante gelegt, weil viele unsicher in die Zukunft blicken. Ökonomen gehen davon aus, dass schon das bloße Gefühl einer wachsenden Verunsicherung ausreicht, um ähnlich zu reagieren wie die Chinesen: mit Angstsparen. Die Furcht ist nicht ganz unberechtigt. In keinem EU-Land hat sich die Einkommenssituation der Arbeitnehmer so verschlechtert wie in Deutschland im vergangenen Jahrzehnt. So sind die Arbeitnehmerverdienste von 2000 bis 2009 real um 4,5 Prozent zurückgegangen. Gründe dafür waren niedrige Tarifabschlüsse und die Zunahme von Zeitarbeit und Minijobs, die mit der Einführung von Hartz IV durch die rot-grüne Bundesregierung einen wahren Boom erlebt haben.

Der Blick auf das Sparverhalten der Deutschen in den letzten zehn Jahren zeigt denn auch, dass die Sparrate tatsächlich gewachsen ist – parallel zu steigenden Krankenkassenbeiträgen bei gleichzeitigen Leistungskürzungen und Sozialabbau im Zuge von Hartz IV. Auch wenn sich diese Kürzungen im Sozialbereich qualitativ auf einem völlig anderen Niveau bewegen als die unterentwickelte Sozialvorsorge in China – Wirtschafts- und Sozialpolitik hat auch immer etwas mit Psychologie zu tun. Es geht um das Signal. In China findet Angstsparen statt, weil die Menschen nicht wissen, was sie in Zukunft erwartet. Die Deutschen legen sich ein finanzielles Polster an, weil ihnen suggeriert wird, dass sie ihren bisherigen Wohlstand nicht mehr aufrecht halten können.

Chinas Regierung ist im Vorteil. Sie verspricht, dass es für die Menschen sozial aufwärts gehe. Und die meisten Chinesen nehmen ihr dieses Versprechen ab. In Deutschland hingegen verbreitet die Politik die Botschaft, dass der Sozialstaat nicht mehr finanzierbar ist. Sie verunsichert ihre Bürger. Es zeigt sich, dass der ferne Osten einen Plan hat. Der Westen hat ihn nicht.

Auszug aus:

Felix Lee: Die Gewinner der Krise. Was der Westen von China lernen kann
192 Seiten, Broschiert
Rotbuch Verlag

Dieses Kapitel wurde gekürzt.

(Quelle: Zeit online)

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