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China altert - und Deutschland verdient mit

2011-07-26
Einzelkinder versorgen eine zunehmende Zahl von Senioren. Pflegeunternehmen und Versicherer sehen Chancen im demografischen Wandel. Auch Herr Fan aus Berlin-Tegel

Erst 116 Millionen Chinesen, größtenteils Städter, sind nach Schätzung der Weltbank im Alter finanziell abgesichert.

Auch Unternehmen aus Deutschland erkunden ihre Marktchancen. Bürokratische Hürden bremsen die Expansion

Maschinen, das war sein großer Traum. Shaodong Fan wollte Ingenieur werden, am liebsten in der Autobranche. Doch die Arbeit bei Mercedes in Stuttgart zeigte dem Chinesen schnell, dass die Abgasforschung nicht das Richtige für ihn war. Eher nebenbei fing Fan in einem Altenheim an: Füttern, Waschen und Wickeln, das ganze Programm. "Pflegen ist mehr als nur eine Dienstleistung", sagt er. Mit einer Partnerin gründete er bald sein eigenes Pflegeunternehmen, bescheiden, mit einem Büro von zwölf Quadratmetern Größe.

Heute hat Shaodong Fan sein Büro im früheren Kasino der Borsig-Werke in Berlin-Tegel, einem großzügigen Ziegelbau aus den 20er-Jahren. Er ist Geschäftsführer der Renafan GmbH, einem Altenpflege-Unternehmen mit rund 1800 Mitarbeitern, das mit ambulanter Betreuung und Tagespflege seit Mitte der 90er-Jahre am Markt ist und zuletzt in die stationäre Pflege und die Intensivbetreuung expandierte. 2010 setzte Renafan damit 52 Mio. Euro um.

Shaodong Fan hat fern der Heimat ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut, mit Standorten in Berlin, München und Hamburg, in einer Branche, die nicht einfach ist. Doch der 49-Jährige ist noch nicht zufrieden. Der Chinese, der inzwischen einen deutschen Pass hat, möchte auch in China ein Altenpflege-Unternehmen gründen. "Da gibt es viel Bedarf", sagt Fan und grinst breit. "Die Alterung der Chinesen ist galoppierend."

Von 1,3 Milliarden Chinesen waren im Jahr 2010 schon 118 Millionen über 65 Jahre alt. Bis 2040, so schätzt das Nationale Statistikbüro in Peking, steigt die Zahl der Alten auf 329 Millionen. Und 2050 wird ein Drittel der chinesischen Bevölkerung über 65 Jahre alt sein - eine riesige Herausforderung. Auf solche Massen sind die Sozialsysteme bei weitem nicht vorbereitet. Mit der Turboindustrialisierung steigt auch die Lebenserwartung. Schon heute liegt sie laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) bei 72 Jahren für chinesische Männer und bei 76 Jahren für Frauen. Dazu kommt die Ein-Kind-Politik, die Paaren in den meisten Städten immer noch nur ein Kind erlaubt. "Die Daten zeigen, dass die Vergreisung zunimmt. Das Land steht vor einigen Herausforderungen und Spannungen", sagt Ma Jiantang, Chef des Nationalen Statistikbüros.

Der Regierung bleibt nur wenig Zeit, das Problem anzugehen. Sie fördert nun den Bau von Altenheimen und Pflegeeinrichtungen, gründet Altersfonds und trichtert der Bevölkerung ein, dass sie privat vorsorgen muss, um nicht im Alter zu verarmen. Zum 1. Januar 2012 wird ein landesweites Rentensystem eingeführt. Staat, Unternehmen und Bürger sollen die Alters-Last gemeinsam tragen. Erst 116 Millionen Chinesen, größtenteils Städter, sind nach Schätzungen der Weltbank nach Erreichen des Rentenalters finanziell abgesichert. Deutsche, internationale und chinesische Konzerne wittern ein Geschäft. Wenn China alt wird, wollen sie mitverdienen - Pflegeunternehmen, Versicherer, Vermögensverwalter und Investmentbanken.

"China stellt einen riesigen Markt dar, der aber noch wenig erschlossen ist", sagt Alan Armitage, Direktor für Marktentwicklung bei Standard Life, einem internationalen Versicherungskonzern, der mit rund 3000 Mitarbeitern in 31 Städten in China vertreten ist. "Das chinesische Rentensystem steckt noch in den Kinderschuhen", sagt auch Marianne Grimm, Volkswirtin bei der Allianz. So führte die Regierung erst 2009 eine Basisrente für rund 800 Millionen Chinesen ein, die auf dem Land leben. Seit 1. Juli gibt es für die Stadtbevölkerung ein ähnliches System, das Zahlungen von mindestens 55 Yuan, rund 5,50 Euro, pro Monat vorsieht. "Die meisten Chinesen sind schlecht vorbereitet, wenn es um ihre Rente geht", sagt Jamie McCarry, Vorstandsvorsitzender des Axa-Joint-Ventures Axa Minmetals. Sein Unternehmen - 17 Niederlassungen, 1930 Mitarbeiter, 150 000 Kunden - war das erste westliche Versicherungsunternehmen, das 1999 die Zulassung für China erhielt.

Die Vergreisung ist nicht nur ein finanzielles Problem. Sie beschert dem Land ein kollektives Schuldgefühl: Über Jahrhunderte lebten die Alten selbstverständlich bei ihren Kindern. Ein-Kind-Politik und Verstädterung machen dieses Modell unmöglich. "4-2-1" lautet die Rechnung: Aus vier Großeltern werden zwei Eltern, die dann ein Kind bekommen. Im schlechtesten Fall ist ein junger Chinese also für sechs alte verantwortlich. Da viele Eltern keine Kosten scheuen, das einzige Kind, das ihnen die Zentralregierung zugesteht, zu fördern, ist das Pflichtgefühl der Kinder noch größer. "Das ist für viele eine schwere Last", sagt Steve Zhang, Geschäftsführer bei der Münchener Rück in Peking. "Allein die Entscheidung, ob Sie die Mutter, den Vater oder nur die Schwiegereltern zu sich nehmen, ist eine, die viele Chinesen nicht treffen mögen."

Deshalb ist die Bereitschaft groß, die Verwandten für viel Geld pflegen zu lassen. Für deutsche Unternehmen, sowohl Pflegefirmen als auch Versicherer, sind hier vor allem die vier Millionen Reichen und Superreichen in den Küstenstädten interessant. Die Masse der Alten in China verfügt im internationalen Vergleich über relativ wenig Vermögen - trotz einer Sparquote von 40 bis 50 Prozent. 70 Prozent der Arbeitnehmer haben einer Axa-Studie zufolge bislang keine Rücklagen für den Lebensabend gebildet.

"Von dem Reichtum, der in den vergangenen dreißig Jahren entstanden ist, haben die, die heute alt sind, nur wenig", sagt Steve Zhang von der Münchener Rück. Gleichzeitig sind die Wartelisten für staatliche Wohnheime voll. Die Kommunen kommen mit dem Bau nicht hinterher. So erhalten nur sieben Prozent der Alten in Shanghai Unterstützung durch den Staat. In den Provinzen Shandong, Hunan, Gansu und Sichuan fördert die EU deshalb eine Reihe von Pilotprojekten. Europa hat dasselbe Problem, wenn auch nicht in dem Ausmaß.

Shaodong Fan ist derzeit auf der Suche nach dem besten Standort für sein Altenpflegeheim und seine Akademie für Pflegekräfte - es soll eine Stadt sein mit vielen vermögenden Alten und möglichst wenigen Mitbewerbern wie zum Beispiel der chinesischen Yanda-Gruppe, die kürzlich in Peking eine "International Health City" mit betreutem Wohnen der Luxusklasse aufgemacht hat. Nanjing, eine Acht-Millionen-Stadt in der Provinz Jiangsu, hat es nach einem Besuch vor Ort schon in Fans nähere Auswahl geschafft. "Der Wunsch nach gewissen Standards ist groß", sagt Fan, "sauber, geordnet, mit einer Struktur, das ist das, was sich die vermögenderen Chinesen wünschen." Deshalb will Fan mit dem Argument "Made in Germany" werben. Deutsche Produkte und Ideen gelten als wertvoll. "Gleichzeitig muss ich auf die chinesischen Besonderheiten Rücksicht nehmen", sagt Fan. Besonderheiten, die er nur zu gut kennt; die Reiskocher etwa, die trotz aller Verbote in praktisch jedem chinesischen Altenzimmer zu finden seien.

Fan hofft, dass er die nötigen Genehmigungen für den Betrieb eines Altenheimes und einer Pflege-Akademie schneller bekommt, weil er Chinese ist. Die bürokratischen Hürden sind es auch, die etwa die Berliner Dussmann-Gruppe noch davon abhalten, in die chinesische Pflegebranche zu investieren. Ähnlich sieht es im Bereich der Versicherer aus: Ausländische Anbieter kommen hier bislang nur auf einen Marktanteil von vier Prozent, wobei allein knapp drei Prozent nach Angaben der HSBC auf Lebensversicherungen entfallen. Noch teilen sich heimische Anbieter wie China Life, Ping An or China Pacific Property den Markt auf. "Der Markt ist ausgesprochen wettbewerbsintensiv und die Regulierungsbehörden haben bis dato eher das heimische Geschäft berücksichtigt", sagt Alan Armitage von Standard Life. "Dennoch halten wir den Markt für attraktiv."

Ähnliches ist von der Münchener Rück zu hören: "Wir sehen ein anhaltendes Wachstum in der Nachfrage nach Rentenversicherungen und Langzeitpflege-Modellen. Da ist mittel- und langfristig noch viel Potenzial", sagt Steve Zhang. Im Januar unterzeichnete die Rück-Tochter Ergo ein Joint Venture mit einer chinesischen Holding, um in der Shandong-Provinz private Altersvorsorge anbieten zu können. Auch die britische Großbank HSBC arbeitet mit einem lokalen Partner. "Unser Versicherungsgeschäft zielt auf die wohlhabenden Schichten und Kunden mit Großvermögen ab", sagt Terry Lo, Geschäftsführer des Bereichs Lebensversicherungen in China. Konkurrent Axa Minmetals verzeichnete 2010 ein Wachstum von 84 Prozent. "Wir sind zuversichtlich, dass wir weiter stark wachsen werden", sagt Axa-China-Chef McCarry.

Shaodong Fan hat sich einen engen Zeitplan gesetzt. 2015 soll sein erstes Altenheim in China stehen, die Akademie noch früher. Angesichts des deutschen Mangels an Pflegekräften hofft er, dass er die Absolventen seiner Akademie bald auch hierzulande einsetzen kann. "Ich kann in beiden Ländern nur gewinnen", sagt er und klopft sich auf die Brust. "Ich muss nur zugreifen.

(Quelle:Die Welt online)

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