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China wird noch mächtiger werden

2012-01-10
 

von Frank Sieren

In China kriselt es an allen Ecken und Enden, wie westliche Medien gerne berichten. Doch man sollte sich nicht täuschen lassen: Das Land ist viel stabiler, als wir glauben.

Wir vergessen allzu schnell: Wie erleichtert waren die westlichen Analysten, als China im November 2008 nach Ausbruch der Finanzkrise als erstes Land vor dem G20-Gipfel mit einem gewaltigen Konjunkturprogramm reagierte. Obwohl dann in den ersten Wochen des Jahres 2009 über 20 Millionen chinesische Wanderarbeiter ihre Fabrikjobs verloren, ließ China als erstes Land die Krise hinter sich. Wir im Westen standen am Ende viel schlechter da. Auch im vergangenen Jahr blieb China trotz aller Schwierigkeiten von den globalen Turbulenzen weitgehend verschont.

Doch inzwischen füllen sich die chinesischen Auftragsbücher wieder langsamer. Die Inflation ist hoch. Und fast täglich werden aus China Demonstrationen oder Verhaftungen von Dissidenten gemeldet.

Ein altes Bild stellt sich bei uns wieder ein: China am Abgrund.

Dahinter verbirgt sich bei manchen im Westen ein eigenartiger Wunsch: Wenn es uns schlechtgeht, darf es China nicht besser gehen. Andere wiederum wollen auf jeden Fall zu den Ersten gehören, die die Krisensymptome für den großen Knall erkannt haben.

Während sie diesen Befürchtungen nachhängen, kann China in Ruhe an Einfluss gewinnen. Denn, was schlimm klingt, muss gar nicht so schlimm sein: Demonstrationen bedeuten nicht unbedingt, dass der Druck im Kessel weiter steigt. Sie zeugen auch von mehr Pluralität und bieten ein Ventil für den aufgestauten Frust.

Dass immer mehr Dissidenten eingesperrt werden, ist sicher kein gutes Zeichen. Es bedeutet jedoch nicht, dass ihr Widerstand mit Sicherheit eine nationale Protestbewegung entzündet hätte. Ist die Führung nervös, muss China deswegen aber nicht zwangsläufig am Abgrund stehen. Es ist wie mit Jugendlichen auf Spritztour in Vaters Auto: Wenn sie es mit der Angst bekommen, weil sie eine Kurve zu schnell genommen haben, bedeutet das nicht zwingend, dass der Wagen tatsächlich kurz davor war, aus der Kurve zu fliegen.

Auch wenn der Westen vorübergehend viel weniger in China einkauft, bringt dies eben nicht zwangsläufig den Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung. Und die zwanzig Prozent Einbruch an den chinesischen Börsen im vergangenen Jahr sagen so wenig über die Stabilität des Landes wie die steigenden Aktienkurse von Apple und McDonald's über die Stärke der US-Wirtschaft.

China kann sich zwar nicht von der Weltwirtschaft abkoppeln. Doch warum sollte Peking künftige Krisen nicht besser meistern? Das Konjunkturpaket von 2008 war für die Regierung wie ein Bungee-Sprung von einer Brücke, ohne zu wissen, wie lang ihr Seil ist. Alles war fraglich. Wie viel Geld sollten sie investieren? Wie viel Inflation löst das aus? Wie werden sich die Wanderarbeiter verhalten? Wie schnell kommt das Geld in der Wirtschaft an? Wann muss man die Kreditbremse treten?

Die Menschen in China sind dünnhäutiger geworden

Jetzt ist die Regierung ein wenig schlauer. Insofern war es eine realistische Selbsteinschätzung, als Premierminister Wen Jiabao Anfang der Woche feststellte, Chinas Wirtschaft stünden im ersten Quartal „schwierige Zeiten bevor", die Regierung stehe jedoch bereit, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Eines ist jedoch auch offensichtlich: Die Menschen in China sind dünnhäutiger geworden. Die Inflation sinkt zwar wieder. Aber der Frust darüber, dass alles teurer wird, steigt weiter.

Dabei darf man nicht übersehen: Das Land verfügt über erhebliche Reserven. Trotz Schattenkrediten und Korruption wäre das Land finanziell in der Lage, locker noch zwei oder drei dieser Megakonjunkturprogramme aufzulegen, ohne auch nur annähernd in eine Schuldenschieflage wie Japan, Europa oder gar die USA zu geraten. Der Binnenkonsum hat seit 2008 allein bis Ende 2010 rund 20 Prozent zugenommen. Trotzdem betrug sein Anteil an der chinesischen Wirtschaft zuletzt nur knapp 40 Prozent. Selbst beim Exportvizeweltmeister Deutschland liegt die Quote bei rund 60 Prozent. China hat also jede Menge Spielraum für eigenständiges Wachstum. Außerdem braucht das Land noch viel Infrastruktur, neue Stromnetze zum Beispiel oder zum Schutz der Umwelt.

Neue Konjunkturprogramme fallen also weitgehend auf wirtschaftlich fruchtbaren Boden. Hinzu kommt: Den anderen geht es deutlich schlechter. Indien steuert auf eine ernste Krise zu. Die Inflation liegt bei über neun Prozent. Das Wirtschaftswachstum sinkt. Europa und die USA brauchen Geld aus China. Japan ist wirtschaftlich angeschlagen und sucht den Schulterschluss mit Peking: Kaum hat Präsident Obama sein pazifisches Jahrhundert ausgerufen, da startet Japan, sein wichtigster Verbündeter in Asien, eine Währungskooperation mit China.

Es ist also recht wahrscheinlich, dass China 2012 eine ähnliche Rolle spielt wie schon in den Jahren zuvor. Das Land bleibt stabiler als erwartet und wird weiterhin an internationaler Macht gewinnen und dabei wirtschaftlichen Erfolg in politischen Einfluss wandeln. Große Überraschungen nicht ausgeschlossen, aber unwahrscheinlich.

(Quelle: Handelsblatt,8.1.2012)

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