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Deutsche Hochschullehrer in China

2012-03-02
 Chinesische Studenten machen es ihren Lehrern in mancher Hinsicht leicht: viele pauken lieber, statt zu diskutieren. Deutsche, die an Chinas Universitäten unterrichten, müssen Pioniergeist mitbringen - allerdings sind die schnellen Entwicklungen in dem Land für viele deutsche Akademiker spannend.

Morgens um halb neun in Raum 303 in der Universität für Politik- und Rechtswissenschaft im Nordpekinger Haidian-Bezirk. Marco Haase steht vor 20 Studenten und erläutert deutsches Zivilrecht. Heute geht es um Vertrags- und Schuldrecht.

Rechtsbindungswille - das sind Vokabeln, die den Studierenden nicht so leicht über die Lippen kommen - obwohl alle als Teil ihres Studiums ein Jahr intensiv Deutsch gelernt haben. Seit über vier Jahren arbeitet Marco Haase als Vizedirektor am Chinesisch-Deutschen Institut für Rechtswissenschaft. Echte Aufbauarbeit, findet er.

"Insofern war das die ideale Kombination: Der Reiz an Asien und an einer fremden Kultur, andererseits die Möglichkeit, ein solches Institut aufzubauen und drittens, dass ich die Idee, das deutsche Recht zu vermitteln, sehr wichtig und interessant finde."

So wie Marco Haase geht es vielen deutschen Wissenschaftlern in China. Wer hier arbeiten will, muss ein gute Portion Pioniergeist, Neugier und Abenteuerlust mitbringen. Zum einen gilt es, mit der fremden Kultur zurechtzukommen, den extremen klimatischen Verhältnisse in einer Stadt wie Peking mit seinen heißen Sommern und klirrend kalten Wintern, den anderen sozialen Gepflogenheiten und fremden Strukturen an den Unis. Lektoren des Deutschen Akademischen Austauschdienstes werden daher vor ihrem Aufenthalt in China nicht nur auf ihre fachliche Qualifikation geprüft, sondern auch auf ihre persönliche Eignung, erzählt Andreas Wistoff, der seit fast sieben Jahren an Pekinger Universitäten Deutsche Literatur unterrichtet und die rund 30 DAAD-Lektoren in China betreut. Manchen Lektor trifft trotzdem bei der Ankunft in der wuseligen 20-Millionen-Metropole Peking ein echter Kulturschock.

"Das Spezielle sind dann die Anforderungen auf dem Campus: man wohnt in der Regel auf dem Campus, neuerdings auch mehr und mehr in einem frei gemieteten Apartment. Dass die Wohnung klein ist, dass nicht immer alles komfortabel ist, dass man vielleicht noch eine schimmelige Stelle im Badezimmer oder hinterm Kleiderschrank hat, dass Kakerlaken oder in südlichen Landesteilen auch mal Skorpione durch die Wohnung laufen - damit muss man leben können und das strengt manche auch an."

Auch in den Unis ist vieles anders. Im Büro von Marco Haase in der Uni für Politik- und Rechtswissenschaften hängt eine- Deutschlandkarte. Auch der DAAD hat Bild-Motive beigesteuert: Schloss Schwanstein zum Beispiel. Aber ansonsten ist das kleine Büro eher spartanisch eingerichtet. Eine Heizung gibt es nicht - trotz der bitterkalten Pekinger Winter. Haase schaltet die Klimaanlage an, die warme Luft in den Raum pustet. Damit muss man leben lernen, schmunzelt er.

"Ach, da wird man gelassener, das ist etwas, was mich nicht so stört, man findet da seine Mittel und Wege, wie man da rauskommt, dass man sich noch einen kleinen Heizlüfter für die Füße anschafft, dass nicht nur der Kopf heiß sind und die Füße kalt sind."

Gewöhnungsbedürftiger sind da schon die sanitären Anlagen in der Uni oder die langsamen Internetverbindungen und die chinesische Bürokratie. Aber es geht auch anders. Ebenfalls im Haidian-Bezirk liegt Chinas Top-Universität: die Tsinghua. Wer hier studiert, hat meist keine Probleme, hinterher einen gut dotierten Job zu finden. Auch die Kinder von Chinas politischer Elite werden hier ausgebildet. Doch auch die Elite-Uni hat sich in den letzten Jahrzehnten geöffnet - kooperiert mit vielen Universitäten in Europa und den USA, bietet internationale Studienprogramme an und bemüht sich um den Austausch von Wissenschaftlern.

An der Tsinghua forscht und lehrt auch der Ökonom Andreas Oberheitmann aus Essen. Mit einer chinesischen Mitarbeiterin bespricht er Verwaltungsaufgaben in seinem kleinen, aber feinen Forschungszentrum für Internationale Umweltpolitik mit mittlerweile 15 Mitarbeitern. Oberheitmanns Büro liegt im 10. Stock eines supermodernen Gebäudes, geheizt wird mit Gas statt wie sonst in China mit Kohle. Die CO2-Belastung in den Räumen wird kontinuierlich gemessen; moderne Sonnenblenden vor den Fenstern regulieren die Klimaanlagen und Heizungen und tragen so zum Energiesparen bei. Anders als am Rechtswissenschaftlichen Institut von Marco Haase ist hier die Arbeitssprache nicht Deutsch, sondern Chinesisch. Kein Problem für den studierten Sinologen Oberheitmann. Seine Lehrveranstaltungen zu Fragen der Klimapolitik hält der 47jährige allerdings auf Englisch ab.

"Also Klimaschutz ist unser Fokus, wir heißen Research Centre for International Environmental Policy. Also es geht auch um lokale Emissionen wie Stickoxide oder so. Aber im Wesentlichen beschäftigen wir uns mit Klimaschutz, mit Treibhausgasen. Im Moment geht es um Low Carbon Economy in Cities, also um grüne Stadtentwicklungskonzepte - das gehört zu unseren Schwerpunkten."

Seit fast fünf Jahren forscht und lehrt Oberheitmann an der renommierten Universität, erstellt Gutachten für die chinesische Regierung, erhält auch Aufträge aus Deutschland. Das Zentrum ist Teil der chinesischen Anstrengungen, auch im akademischen Bereich internationalen Anschluss zu finden und internationale Expertise nach China zu holen. Jüngst erstellte das Zentrum ein grünes Entwicklungskonzept für die chinesische Stadt Wuxi in der Nähe von Shanghai. Solche Projekte begeistern den Professor immer wieder für seinen Job.

"Das eine, was sehr interessant ist, das ist die Dynamik hier in China mitzuerleben. Was hier in China in einem Jahr passiert, das passiert in Deutschland vielleicht in fünf Jahren. Das spürt man jeden Tag hautnah und das ist sehr schön. Und das andere, was vielleicht noch viel wichtiger ist, man hat hier das Gefühl, mit seiner Arbeit zumindest ein kleines bisschen zu Verbesserung der Umweltbedingungen beitragen zu können."

Und genau deshalb ist Oberheitmann immer noch hier - obwohl er ursprünglich nur zwei Jahre bleiben wollte. Das Gefühl etwas anstoßen, aufbauen und bewegen zu können, haben viele Wissenschaftler in China. Als Ausländer genießen sie dabei einen Sonderstatus - und damit auch viele akademische Freiheiten. Von den politischen Restriktionen an den Universitäten, über die chinesische Professoren manchmal klagen, bekommen die ausländischen Wissenschaftler nichts mit. Den langen Arm Kommunistischen Partei, die auch an den Unis das Sagen hat, spüren sie nicht. Den Juristen Marco Haase hat das überrascht.

"Von allen politischen Fragen bin ich überhaupt nicht betroffen. Es gibt völlige Lehrfreiheit, ich glaube nicht, dass der Unterricht sonderlich kontrolliert wird. Ich kann Themen ansetzen, wie ich will. Es gibt es keine Kontrolle, auch überhaupt keine Nachfragen. Ich hatte gedacht, dass es viel kontrollierter ist, sowohl, was den Inhalt als auch den Umgang. An den Universitäten sind die Diskussionen sehr frei und sehr offen."

Haase unterrichtet deutsches Recht und hat daher mit chinesischen Themen eigentlich nichts zu tun. Fragen nach Rechtsstaatlichkeit - in China ein hochpolitisches Thema - stellen seine Studenten so gut wie nie. Politik und Recht - das hat in ihrem Verständnis zunächst nichts miteinander zu tun. Für den Germanisten und DAAD-Lektoren-Betreuer Andreas Wistoff ist das anders. In seinem Fach, Deutsche Literatur, schwingen politische Fragen und Kritik an gesellschaftlichen Verhältnissen oft mit. Da sei Fingerspitzengefühl gefragt, sagt er, offene politische Stellungnahmen seien völlig fehl am Platz. Aber die Literatur öffne genügend Möglichkeiten der Kritik.

"Auch Friedrich Schiller konnte in seinen Dramen den Adel kritisieren, indem er auf einen anderen Zeitraum und eine andere Region auswich. Und man kann durchaus am Beispiel der Literatur Phänomene besprechen, die auch auf China anwendbar sind und dabei belässt man es. Dass man dabei automatisch das hiesige Land in der Kritik mit einschließt, das muss man in China nicht aussprechen. In China muss man weniger aussprechen als in Deutschland, es wird automatisch mehr mitgedacht, wobei man weniger Gesten benutzt. Das heißt, bei aller scheinbaren Passivität arbeiten die Köpfe der Studierenden sehr, sehr wach mit."

Doch bis man die Studenten so weit hat, aktiv mitzudenken, kritische Fragen zu stellen und eigenen Standpunkte zu vertreten - bis dahin ist es oft ein langer Weg, sagen alle deutschen Hochschullehrer in China. Gleichwohl warnen sie davor, die chinesischen Studenten zu unterschätzen, sie können oft mehr, als man ihnen auf den ersten Blick zutraut.

Zum Beispiel bei dem jährlichen nationalen Debattierwettbewerb im Goethe-Institut in Peking. 80 Studierende aus vierzig Universitäten treten gegeneinander an, müssen argumentieren, streitlustig ihre Standpunkte verteidigen - selbst wenn sie persönlich eine ganz andere Meinung vertreten. Diesmal geht es um ein Thema, das vor allem jungen Chinesen am Herzen liegt - soll man fürs Runterladen von Musik und Filmen aus dem Internet bezahlen müssen?

Verbissen kämpfen die Studenten um Punkte, um in die nächste Runde zu kommen. Ihre Deutschkenntnisse sind extrem gut. Denn sie wissen, wie man lernt, sind durch eine harte Schule gegangen, um es überhaupt an die Uni zu schaffen. Jedes Jahr drängen neun Millionen junge Leute an die chinesischen Hochschulen. Trotz des massiven Ausbaus der Universitäten gibt es immer noch zu wenig Studienplätze. Nur wer den Gaokao, die landesweit einheitliche Aufnahmeprüfung für Universitäten bewältigt hat, wird überhaupt zugelassen. Von den neun Millionen Bewerbern geht jedes Jahr ein Drittel leer aus. Wer die zweitägige Prüfung geschafft hat, wählt seine Studienfächer oft nicht nach persönlicher Neigung, sondern nach der Punktzahl in der Prüfung aus und danach, welche Uni sie akzeptiert. Das Renommee der Universität ist später beim Berufseinstieg oft wichtiger als die fachliche Qualifikation. Germanistik-Studenten beispielsweise sind oft nur zufällig zum Deutsch-Studium gekommen.

"In der Oberschule liebte ich sehr Michael Schumacher. Das ist der Grund."

"Wegen Tokio-Hotel, der berühmten deutschen Band, deren Songs mag ich sehr gerne."

Und bei der 24jährigen Chen war das Alphabet ausschlaggebend, als sie sich zwischen Deutsch und Französisch nicht entscheiden konnte.

"Deutsch beginnt mit D und Francais mit F. D kommt vor F und so habe ich einfach nach der alphabetischen Ordnung Deutsch in meiner Wunschliste als erstes angekreuzt."

Für die Hochschullehrer ist das eine Herausforderung. Wie begeistert man Studenten für ein Fach, das sie rein zufällig gewählt haben? Und dann ist da die andere Lernkultur in China. Für die meisten westlichen Akademiker ist das eine der größten Hürden. Denn traditionell erzieht das chinesische Bildungssystem zum Pauken von vorgegeben Inhalten, sagt Klimaforscher Andreas Oberheitmann.

"Sicherlich ist das Ausbildungssystem hier an der Uni sehr aufs Auswendiglernen ausgerichtet, eigentlich sehr amerikanisch. Das ist so der deutlichste Unterschied, den ich zum deutschen Hochschulsystem empfinde. Es ist sehr verschult. Viele Hausaufgaben. Das hat Vorteile für gewisse Studenten, die die man so ans Händchen nehmen muss. Das würde sicherlich auch einigen deutschen Studenten ganz gut tun, wenn man sie mehr ans Händchen nehmen würde. Aber das ist hier sehr ausgeprägt. Die eigene wissenschaftliche Arbeit, die kommt dann hier manchmal ein bisschen zu kurz."

"Die Studenten sind dem Lehrer sehr ehrerbietig gegenüber. Das ist einerseits natürlich sehr schmeichelhaft und auch ein wirklich gutes Verhalten, weil es eine große Wissbegierde zeigt: Sie wollen wirklich etwas lernen, während in Deutschland Studenten häufig den Eindruck vermitteln, sie wüssten sowieso schon alles. Andererseits ist es natürlich so, dass die Studenten weniger nachhaken. Man kann sie aktivieren, es ist nicht so, wie es häufig heißt, dass die Studenten alle ganz passiv sind und keine Fragen stellen. Sie fragen schon, aber sie sind weniger fordernd. Das ist einerseits für den Lehrer bequem, aber andererseits würde man sich von den Studenten wünschen, dass von den Studenten mehr Widerstand kommt."

Germanist Wistoff probiert es auch schon mal mit Provokationen, um die Studenten aus der Reserve zu locken. Er konfrontiert sie mit den dunklen Seiten der deutschen Literatur, er zwingt sie, düstere Stücke von Thomas Bernhard zu lesen, unheimliche Gedichte von Günter Kunert. Er versucht sie wegzuführen von den gewohnten Inhalten, die die Gesellschaft als harmonisch und konfliktfrei beschreiben. Dass er dabei manchmal bei seinen Studenten aneckt, stört Wistoff nicht. Anpassung sei der falsche Weg, sagt er. Er versuche, an der Volksuniversität so deutsch wie möglich zu bleiben. Denn seine Studenten werden vermutlich wegen ihrer Sprachkenntnisse später für deutsche Firmen arbeiten, da sei es nur gut für sie, sich frühzeitig an typisch deutsches Verhalten zu gewöhnen.

"An die Direktheit, die Unhöflichkeit manchmal auch, die hier auch als rüpelhaft, trampelig, beleidigend empfunden werden kann. Einem deutschen Lehrer sieht man unchinesische Direktheit dann schon eher nach, weil man sagt, an ihm kann ich das ausprobieren, wie ich später ein Standing gegenüber einem deutschen Chef haben muss."

Ein dickes Fell, eine gewisse Langmut und viel Optimismus müssen alle ausländischen Wissenschaftler mitbringen. Denn natürlich können sie das chinesische System nicht umkrempeln. Sie bleiben gegenüber ihren Studenten und ihren Kollegen an den chinesischen Unis immer Fremde, sagt Jurist Haase.

"Ich bin hier ein Außenstehender und ich werde hier auch als Ausländer behandelt. Das hat viele Privilegien, das fängt schon damit an, dass man ein besseres Gehalt bekommt als alle chinesischen Kollegen. Umgekehrt ist man nicht im chinesischen System integriert, man geht zu vielen Sitzungen nicht, man wird auch gar nicht eingeladen, wird auch gar nicht gefragt. An anderen Universitäten, in Amerika oder Frankreich, da kann man sich als Ausländer integrieren, das ist in China unmöglich. Man ist hier der Fremde und bleibt der Fremde."

 

(Quelle: Dradio.de Autorin: Ruth Kirchner)


 

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