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China ist gerade für Deutschland der große Glücksfall

2012-03-02
Acht Jahre lebte Horst Löchel in Shanghai. Der deutsche Professor lehrte dort an der China Europe International Business School (CEIBS), einer Kaderschmiede für angehende Banker. Seit Herbst 2011 ist er zurück, lehrt nun an der Frankfurt School of Finance and Management. Er gibt Einblicke in eine uns oft fremde Welt, erklärt, was uns von China trennt, was wir gemeinsam haben und wo westliche Banken von den chinesischen noch etwas lernen können.
 Welt Online: Was war für Sie das Überraschendste als Sie im Jahr 2003 nach China kamen?

Horst Löchel: Ich dachte damals, ich gehe in ein Entwicklungsland, stattdessen kam ich nach New York – im übertragenen Sinne. Shanghai ist eine hochmoderne, internationale Metropole, was ich so nicht erwartet hatte. Außerdem wurde mir erst nach und nach bewusst, über welch tief gestaffelte Geschichte und Kultur das Land verfügt. Das römische Reich ist längst untergegangen, die chinesische Zivilisation gab es dagegen damals schon und auch heute noch.

Welt Online: Und was haben Sie in diesen acht Jahren in China gelernt?

               Horst Löchel lehrte acht Jahre in Shanghai

Löchel: Ich habe beispielsweise gelernt, das chinesische Verhandlungsgeschick zu schätzen, diese Mischung aus Höflichkeit, Finte und Härte. Und ich mag die typisch asiatische Ausgeglichenheit, die durch kaum etwas aus der Ruhe zu bringen ist. Schließlich gefällt mir das Konzept des ‚Gesichtwahrens', das seinem Gegenüber Respekt bezeugt, unabhängig von der Situation. Die chinesische Philosophie ist „Wir sitzen alle in einem Boot". Im Westen neigen wir eher zu scharfen Abgrenzungen, auch und gerade wenn es um China geht. Da heißt es dann, die kopierten alles, nähmen unsere Jobs weg und so weiter.

Welt Online: Ist das nicht verständlich? Viele glauben, dass China uns bald abhängt.

Löchel: China ist gerade für Deutschland der große Glücksfall. Kaum eine Wirtschaft profitiert von Chinas Wachstum so sehr wie die unsere. Wir produzieren das, was die Chinesen brauchen. Ich sehe auch nicht, dass uns Chinas Wirtschaft bald überholen würde. Von der Qualität und Präzision eines deutschen Maschinenbauers beispielsweise ist China noch meilenweit entfernt. Die Chinesen arbeiten hart und viel, aber Produktivität und Effizienz sind immer noch vergleichsweise niedrig.

Welt Online: Sie waren in China, um Bankern das Einmaleins des Banking beizubringen. Nicht gerade leicht, wenn im Herkunftsland des Professors gerade die Banken zusammenbrechen.

Löchel: In der Tat markiert 2008 einen Bruch, der nicht nur das Vertrauen in das westliche Finanzsystem, sondern in das westliche System insgesamt nachhaltig erschüttert hat. Es wird lange brauchen, den Flurschaden von Finanz- und Eurokrise zu beseitigen. Mit so viel Dilettantismus im Westen haben nur die wenigsten Chinesen gerechnet, schon gar nicht die Eliten des Landes. Andererseits ist Chinas Finanzsystem – wie übrigens auch große Teile des Landes und der Wirtschaft – nach wie vor unterentwickelt und kann vom Westen lernen. Wir aber eben auch von China. Das ist die Lehre der anhaltenden Krise.

Welt Online: Was könnten unsere Banken lernen?

Löchel: Chinas Banken konzentrieren sich auf das Wesentliche, die Finanzierung der Wirtschaft. Stark risikobehaftete Geschäfte wie beispielsweise der Eigenhandel sind nicht erlaubt und die Hebelung der Bilanz wird durch strenge Kredit-Einlagen-Vorgaben deutlich begrenzt. Ich meine, das sind sinnvolle Leitplanken auch für westliche Banken.

Welt Online: Und was muss Chinas Finanzindustrie noch lernen?

Löchel: Heute funktioniert das Bankgeschäft in China immer noch so: Die Zentralbank legt fest, wie viel Zinsen Anleger auf dem Sparbuch erhalten und welchen Zins die Bank von Kreditnehmern nehmen muss. Die staatlichen Großbanken, die den Bankenmarkt beherrschen, vergeben ihre Kredite wiederum fast ausschließlich an die großen staatlichen Unternehmen. Dann ist das Risiko Null und die Spanne zwischen Einlagen- und Kreditzins ist de facto eine staatlich garantierte Gewinnmarge. Das ist wie eine Lizenz zum Gelddrucken.

China muss sein Zinssystem liberalisieren, auch und gerade um den Wettbewerb zwischen den Banken zu fördern. Aber auch auf dem Aktienmarkt gibt es noch eine Menge zu tun. Die Shanghaier Börse beispielsweise gleicht nach wie vor einem Spielcasino. Es geht um das schnelle Geld sowohl von Investoren- wie von Emittentenseite. Eine langfristige Orientierung fehlt völlig, und der staatliche Einfluss ist nach wie vor enorm. Kein Wunder, dass der Markt seit drei Jahren schlecht läuft, trotz weltweitem Konjunkturaufschwung und dem starken Wachstum in China.

Welt Online: Derzeit buhlt Europa um finanzielle Hilfe bei China. Kann und will das Land aber überhaupt einspringen?

Löchel: China hat in jedem Fall ein Interesse an einem stabilen Europa, denn Europa ist sein wichtigster Absatzmarkt. Außerdem halten die Chinesen nichts von dem Modell, das inzwischen vielen Eliten in den USA vorschwebt, nämlich eine bipolare Welt mit den Supermächten USA und China, in der Europa und der Rest nur noch am Rande vorkommt. Umso wichtiger ist es übrigens, dass der Euro nicht scheitert. Allerdings muss Europa auch etwas dazu beitragen, das Verhältnis zu China wieder zu verbessern. Das heißt nicht, dass man nicht auch kritisch sein kann gegenüber China. Aber der Ton macht eben die Musik. Darüber hinaus braucht China sichere Investments in Europa – der Kursverfall des Dollars zerrt angesichts der enormen Devisenreserven schon stark genug an den Nerven. In China heißt es: ‚Wir sind zwar arm, aber nicht dumm'.

Welt Online: Und wie steht China zu Deutschland?

Löchel: Die Chinesen sind von Deutschland fasziniert, mehr denn je. Man sieht und bewundert den wirtschaftlichen Erfolg in einem stabilen sozialen Umfeld. Auch die traditionellen deutschen Tugenden wie Präzision, Fleiß und Ehrlichkeit werden geschätzt. Man erwartet von uns Deutschen eine Führungsrolle in Europa. Es wird Zeit, dass wir sie wahrnehmen.

 (Quelle: welt online,1.3.2012)

 

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