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China-Experte empfiehlt stärkere Verlagerung der Produktion nach China

2012-03-09
Bei der Neuausrichtung der Wirtschaft setze die Pekinger Regierung auf die höhere Wertschöpfung in China, meint Markus Taube, Professor am Lehrstuhl Ostasienwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen. Für die deutsche Wirtschaft sieht er Chancen, wenn sie in dem asiatischen Land produziert.
 

Nana Brink: Die Fernsehbilder, die wir immer von den Sitzungen des Nationalen Volkskongresses in Peking sehen, die gleichen sich eigentlich seit Jahrzehnten: Tausende Beifall klatschende Hände, und vorne sitzt umrahmt vom Rot der Fahne die Staats- und Parteiführung, auch symbolisch abgegrenzt vom Volk. Doch das Bild täuscht.

Die Regierung bereitet einen Machtwechsel vor, und auch wirtschaftlich positioniert sich das Land neu. Die Frage ist: Wohin geht die Reise? Einer, der sich intensiv damit beschäftigt, ist Professor Markus Taube. Er hat den Lehrstuhl für Ostasienwissenschaft, Wirtschaft und China an der Uni Duisburg-Essen. Schönen guten Morgen, Herr Taube!

Markus Taube: Guten Morgen!

Brink: In nur wenigen Jahren hat sich das bevölkerungsreichste Land der Welt zur zweitgrößten Wirtschaftsmacht entwickelt, jetzt zum ersten Mal soll das Wachstum gedrosselt werden - statt acht Prozent nur noch 7,5 Prozent, so die Vorgabe. Was sagt uns das?

Taube: Das sagt uns eigentlich, dass die Volkswirtschaft voll auf Kurs ist. Diese Reduzierungen der Wirtschaftswachstumszahlen waren schon letztes Jahr oder Ende vorletzten Jahres angekündigt worden. Im neuen Fünfjahresplan haben wir nämlich nur noch eine Zielgröße von sieben Prozent pro Jahr. Die haben wir 2011 deutlich übertroffen, da waren wir bei 9,2, und wenn es jetzt auf 7,5 geht, dann liegen wir immer noch deutlich über dem, was eigentlich avisiert war. Oberstes Ziel ist momentan nicht die Steigerung des Wachstums per se, sondern die qualitative Struktur und Technologieintensität der Volkswirtschaft.

Brink: Können Sie das ein bisschen konkretisieren, was heißt das?

Taube: China will sich loslösen von dem alten System, in dem sie ja in hohem Maße abhängig war von ausländischen Geschäftsmodellen, ausländischen Patenten, ausländischer Innovationstätigkeit, und möchte diese Dinge jetzt selber gestalten können. Das heißt, Unternehmen werden gefördert, die eigenständig Geschäftsmodelle entwickeln, die eigenständig Patente anmelden - nicht nur in China, sondern international - und damit dann proaktiv auf den Weltmarkt hinausgehen.

Brink: Das heißt, China möchte mehr im eigenen Land investieren - kann man das so sagen?

Taube: Im eigenen Land ja, aber instrumental dazu auch international, um ihren eigenen Unternehmen auf der Weltbühne Zugang zu verschaffen und sie in den globalen Oligopolen zu positionieren.

Brink: Das würde ja auch bedeuten, dass China auch noch weiterhin auf Export setzt - wir wissen ja, dass China Deutschland als Exportweltmeister jüngst abgelöst hat. Wird China das denn halten können, also auch im Hintergrund der Schuldenkrise EU und der schlechten Konjunktur in den USA?

Taube: Ja, faktisch wird man den Export eher zurückfahren, und was an Export noch übrig ist, wird ein neues Modell sein - das ist zumindest die Zielvorstellung -, während wir in der Vergangenheit ja primär Lohnveredelungsgeschäfte gesehen haben, während derer in China selber kaum etwas gemacht wurde. Das war eher Assembly, also ein Zusammensetzen von Kleinteilen, die zugeliefert wurden.

Das soll aufgegeben werden, und stattdessen höhere Wertschöpfung in China selber, dass also nicht nur kleinste Komponenten in China selber hergestellt werden, sondern dass ganze Produkte oder große Teile von Produkten in China selber hergestellt werden.

Brink: Regierungschef Wen hat ja auch angekündigt, er möchte mehr Binnenkonsum, also die Chinesen sollen mehr kaufen. Wie soll denn das gehen auf einmal? Kann man das einfach so bestimmen?

Taube: Es geht. Es geht, insofern wir gerade jetzt in diesem Jahrzehnt sehen, dass große Teile der chinesischen Bevölkerung die Einkommensschwelle überschreiten, jenseits derer wirklich signifikanter Konsum möglich ist. Also, die Einkommen steigen, diese Idee der kleinen Wohlfahrt ermöglicht tatsächlich eine massive Ausweitung von Konsumtätigkeit.

Dazu kommt, dass über verschiedene Parameter jetzt Gelder freigesetzt werden, die früher sozusagen als Risikorücklage gehalten wurden, zum Beispiel im Rahmen der Sozialversicherung, Krankenversicherung, Rentenversicherung. Hier hatten wir ja in den letzten zwei Jahrzehnten kaum mehr irgendeine Absicherung, insbesondere für die ländliche Bevölkerung. Jetzt, mit der Einführung von Sozialversicherungssystemen, werden diese Risikorücklagen freigesetzt und können dem Konsum zugeführt werden.


                
Brink: Das heißt, man will die Leute also auffordern, mehr zu konsumieren. Davon profitieren ja vielleicht auch internationale Unternehmen oder auch deutsche, Audi zum Beispiel. Es gibt eine wunderbare Meldung, die uns gestern erreicht hat: Audi produziert 60.000 Autos monatlich. Und die werden verkauft?

Taube: Definitiv. Definitiv. Deutsche Automarken sind in China sehr, sehr erfolgreich und haben dort mit Sicherheit noch eine glänzende Zukunft. Obwohl, wenn wir uns die aktuelle Automobilpolitik in China anschauen, ist die ganz klar ausgerichtet auf die Förderung von alternativen Energien - Hybrid-, Elektroantrieb - und kleinere Hubraumklassen. Also der Audi und der BMW ist jetzt nicht mehr im Fokus der chinesischen Regierungspolitik.



Brink: Sie haben ja angedeutet, die chinesische Wirtschaft wird sich neu positionieren, mehr auf eigene Sachen setzen. Gibt es dann trotzdem eine Chance für internationale, also sprich jetzt konkret zum Beispiel auch für deutsche Produkte?

Taube: Die deutschen Produkte werden in China meines Erachtens in erster Linie eine Chance haben, wenn in China selber produziert wird. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass deutsche Maschinen- und Anlagenbauer sehr, sehr erfolgreich waren. Das chinesische Wirtschaftswunder läuft in weiten Bereichen auf deutschen Maschinen, und das ist positiv. Und ich denke, dieser grundlegende Trend ist nicht in Gefahr. Wenn wir jetzt hineingehen in Konsumgüter, dann werden wir nicht über die Exporttätigkeit hier wirklich Fuß fassen können, sondern hier geht es wirklich nur durch eine Verlagerung von Produktion nach China, und zwar nach Zentralchina dann.

Brink: Ich habe es anfangs schon angedeutet, 2012 ist für China auch das Jahr der Wende, die Macht wird neu verteilt im Politbüro der kommunistischen Partei, und die große Frage ist ja, was wird am Ende dabei herauskommen. Soll China erst wachsen - das soll es ja nicht sein - und soll es einen sozialen Ausgleich geben, also kurz gesagt, mehr Mao oder mehr Markt?

Taube: Ja, das ist momentan der große Richtungsstreit in China. Es besteht Konsens darüber, dass das gesamte chinesische Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell modifiziert werden muss hin zu einem eher grünen Anstrich, das heißt, Sustainability wird in den Vordergrund gerückt werden, und es ist auch erkannt worden, dass mehr sozialer Ausgleich notwendig ist.

Die Einkommensschere in China ist die letzten 30 Jahre massiv auseinandergelaufen und muss korrigiert werden, das ist kein Thema. Ansonsten erleben wir momentan in China eine ganze Reihe von Kapriolen von neomaoistischen Populisten - das sind Machtkämpfe, die wenig eigentlich zu tun haben mit dem Wirtschaftsmodell, was dahinterliegt. Ich glaube, auf der Ebene des Wirtschaftsmodells haben wir sehr, sehr pragmatische und sehr rationale Vorstellungen.

Brink: Also es wird weiterhin massiv staatlich gesteuert?

Taube: Oh ja, auf jeden Fall.

Brink: Professor Markus Taube, er hat den Lehrstuhl für Ostasienwirtschaft und China an der Uni Duisburg-Essen. Schönen Dank, Herr Taube, für das Gespräch!

Taube: Danke Ihnen!

(Quelle:dradio.de 6.3.2012)

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