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China befindet sich jetzt an einem Wendepunkt.

2012-03-31
  
Für China beginnt der schwierige Übergang zu geringerem Wachstum und einem veränderten Wachstumsmuster. Hinzu kommt, dass es sich um einen politischen wie wirtschaftlichen Übergang handeln dürfte. Der wirtschaftliche Erfolg unter der Regierung der Kommunistischen Partei ist kein Garant für eine vergleichbar erfolgreiche Zukunft.
Der wirtschaftliche Wandel an sich wird schwierig genug sein. China hat die Endphase von dem erreicht, was Volkswirte als "extensives Wachstum" bezeichnen, ein Wachstum durch steigende Zufuhr von Arbeit und Kapital. Nun muss es zu einem "intensiven Wachstum" werden, das durch Verbesserung von Technologie und Fachwissen befeuert wird. Eine Folge wird sein, dass sich Chinas jährliche Wachstumsrate der vergangenen drei Jahrzehnte von durchschnittlich knapp zehn Prozent nicht halten lässt. Erschwert wird dieser Wandel zudem durch den Charakter des Wachstums, vor allem durch die außergewöhnliche Investitionsrate und die große Abhängigkeit von Investitionen als Nachfragequelle.
China hört auf, ein Land des Arbeitskräfteüberschusses zu sein, wie es das Entwicklungsmodell von Nobelpreisträger Arthur Lewis vorsieht. Lewis argumentierte, dass das Subsistenzeinkommen der überschüssigen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft eine niedrige Obergrenze für die Löhne im modernen Sektor setzt. Dadurch wird Letzterer äußerst profitabel. Vorausgesetzt, die Gewinne werden wie in China wieder investiert, dann liegt die Wachstumsrate des modernen Sektors und der Wirtschaft auf sehr hohem Niveau. Doch irgendwann werden die Arbeitskräfte in der Landwirtschaft knapper, und der Preis der Arbeitskräfte steigt für den modernen Sektor. Die Gewinne schrumpfen, Ersparnisse und Investitionen fallen, die Volkswirtschaft reift.
Vor 35 Jahren war China eine Volkswirtschaft mit Arbeitskräfteüberschuss, heute nicht mehr. Mitverantwortlich dafür sind das rasante Wachstum und die Urbanisierung. Seit Reformbeginn ist die chinesische Volkswirtschaft real um mehr als das 20-Fache gewachsen, und die Hälfte der Bevölkerung Chinas lebt heute in Städten. Chinas niedrige Geburtenrate bedeutet, dass die Bevölkerung im erwerbstätigen Alter (15 bis 64 Jahre) schon 2015 den Höchststand von 996 Millionen erreichen wird. Cai Fang von der chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften zufolge "grassiert der Arbeitskräftemangel, der 2004 in den Küstenregionen ausbrach, inzwischen im ganzen Land. 2011 erlebten Fertigungsunternehmen nie da gewesene und umfassende Schwierigkeiten bei der Anstellung von Arbeitskräften." Fangs Feststellung belegt eindrücklich, dass die Reallöhne steigen und Gewinne schrumpfen werden.
China befindet sich jetzt an dem von Lewis beschriebenen Wendepunkt. Das hat zur Folge, dass bei einem bestimmten Investitionsniveau das Verhältnis von Kapital zu Arbeit schneller steigt und die Renditen schneller fallen. Schon vor dem Lewis'schen Wendepunkt gab es starke Indizien für eine zunehmende Kapitalintensität. Das muss sich ändern. Chinas Wachstum muss von steigender totaler Faktorproduktivität getrieben werden und nicht von einem steigenden Verhältnis von Kapital zu Arbeit. Ersteres führt zu nachhaltigen Renditen, Letzteres zu sinkenden Gewinnen, speziell jetzt, da die Reallöhne rasch ansteigen. Ein Rückgang der Gewinne ist angesichts der Fehlverteilung der Einkommen bis zu einem gewissen Grad wünschenswert. Zu weit getrieben, würde der Rückgang jedoch dem Wachstumspotenzial schaden.
Dass der Übergang zu einem von technischem Fortschritt getriebenen Wachstum so schwer fällt, ist ein Grund dafür, weshalb so viele Länder in die "Middle Income Trap" geraten, in die Falle der mittleren Einkommen. China ist inzwischen ein Land mit mittlerem Einkommen und ist fest entschlossen, bis 2030 ein Land mit hohem Einkommen zu werden. Dazu werden tiefgreifende Reformen notwendig.
Der aktuelle Fünf-Jahres-Plan der Regierung sieht für dieses Jahr 7,5 Prozent Wachstum vor, für den gesamten Zeitraum durchschnittlich sieben Prozent pro Jahr. Eine Verlangsamung erscheint unvermeidbar, und mit langsamerem Wachstum geht auch die Notwendigkeit außergewöhnlicher Investitionsraten zurück.
Um die Investitionsrate, die bei 50 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegt, auf 35 Prozent zu senken, ohne dass es dabei zu einer schweren Rezession kommt, muss der Konsum entsprechend zunehmen. Einfache Mittel, einen derartigen Anstieg auszulösen, besitzt China nicht. Darüber hinaus ist China stark von Investitionen im Baugewerbe abhängig geworden: In den vergangenen 13 Jahren sind die Investitionen im Hausbau um durchschnittlich 26 Prozent pro Jahr gestiegen. Auf diesem Niveau wird sich das Wachstum nicht fortsetzen.
Der Übergang zu einer ganz anderen Form des Wirtschaftswachstums könnte China gelingen, das Land weist noch immer sehr viel Potenzial auf. Aber die Hürden, die bei der Anpassung an neue Muster zu nehmen sind, werden sehr hoch sein. Viele Länder mit mittlerem Einkommen sind daran gescheitert. Angesichts der früheren Erfolge ist es aber schwierig, gegen China zu argumentieren. Hauptgrund für diese Zuversicht ist, dass es den obersten politischen Entscheidern in China an solcher Art von Selbstgefälligkeit mangelt.
 
(Quelle:The Financial Time 23.3.2012  Kolumnist:Martin Wolf }
 
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