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Als Schülerin in China - Hart, aber herzlich

2012-05-16
 

Jing Wu (Dritte von rechts, mit Schulfreundinnen) lebt seit zwölf Jahren in Deutschland. Weil sie wissen wollte, wie sich Schule in ihrer alten Heimat China anfühlt, ging die 16-Jährige für ein halbes Jahr in die Provinz Shanxi.

 

Fahnenappell, brutale Paukerei und Schule von früh bis nachts: Jing Wu, 16, lebt eigentlich in Dortmund, ging aber für ein halbes Jahr zurück in ihre alte Heimat China. In einer 68-köpfigen Klasse lernte sie vor allem, hart zu büffeln - aber auch, wie gut sich wahre Freundschaft anfühlt.

An meinem ersten Schultag in China war ich etwas erschrocken. Die chinesische Schule war riesig! Es gab ein Gebäude für die Mittelstufe und eins für die Oberstufe. Vor dem Haupteingang wehte die chinesische Nationalflagge auf einem Marmorsockel. Einige besonders starke Jungen durften sie montags hissen, freitags kam sie wieder herunter. Aus Platzgründen stand meine Jahrgangsstufe nur jeden dritten Montag vor der ersten Stunde in geraden Reihen auf dem Schulhof und schaute dabei zu, während ein Orchester die Nationalhymne spielte. Als der letzte Ton der Hymne verklang, gingen wir in den Klassenraum zum Unterricht.

Ich war aufgeregt, als wäre ich in einem unbekannten Land. Seit ich mit vier Jahren nach Deutschland kam, war ich nur alle paar Jahre zu Besuch in China. Nun wollte ich mein Chinesisch verbessern und endlich mal wieder meine ganze Familie besuchen. Deshalb begann mein erstes Halbjahr der zehnten Klasse auf einem Schulhof in der Provinz Shanxi, Nordchina.

Der Schultag startete um halb acht. Nach vier Stunden Unterricht hatten wir zwei Stunden Mittagspause. Ich aß mit den anderen Schülern in der Mensa oder bei meiner Tante im Büro, die an der Schule unterrichtet. Nach dem Essen ging ich in mein Zimmer im Internat. Ich gewöhnte mich schnell daran, wie die anderen mittags kurz zu schlafen, um für den Nachmittagsunterricht gegen halb drei fit zu sein. Nach drei Stunden eine halbe Stunde Pause, danach noch zwei Stunden Unterricht.

Schulschluss um halb elf abends

Ab acht Uhr abends saßen wir alle im Klassenraum und machten unsere Hausaufgaben. Die meisten Schüler durften um halb zehn nach Hause. Die Internatsschüler mussten eine weitere Stunde lernen, so lautete die Regel. Es war also halb elf, als für mich die Glocke zum Schulschluss läutete. War ich wirklich mal mit meinem deutschen Stundenplan unzufrieden?

Samstags hatten wir auch Schule, bis sechs Uhr abends. Am Anfang war es echt schwer, den ganzen Tag dazusitzen und Gedichte zu analysieren, Formeln herzuleiten oder Daten des Opium-Kriegs auswendig zu lernen. Zum Glück waren die meisten Lehrer sehr freundlich und halfen mir, wenn ich etwas nicht verstand. In meiner Klasse saßen 68 Schüler und wir waren wie eine große Familie. Jeder half jedem und alles wurde geteilt. In den sechs Monaten lernte ich die chinesische Jugendsprache, Penspinning und wie man Rosen aus Papier faltet.

Abends kamen wir ziemlich müde in unserem Zimmer an. Ich wohnte dort mit fünf anderen Schülerinnen, vier waren in meiner Klasse. Einige erledigten noch schnell den Rest ihrer Hausaufgaben, andere machten sich bettfertig. Um halb zwölf war Nachtruhe. Meistens plauderten wir in unseren Hochbetten noch ein wenig miteinander, bevor wir einschliefen. Manchmal brachten wir uns auch gegenseitig ein Lied bei, mal ein deutsches und mal ein chinesisches. Oder ich erzählte ihnen etwas über Deutschland. Sie konnten sich gar nicht vorstellen, wie schön es wäre, nachmittags Schulschluss zu haben.

Ein Kerzenherz zum Geburtstag

Mein Geburtstag im Dezember war besonders toll. Um Mitternacht gaben mir meine Freundinnen aus unserem Zimmer mehrere Blätter voller Glückwünsche von Schülern meiner Jahrgangsstufe. Am Nachmittag ging ich mit einer Freundin in die Mensa. Sie bestand darauf, dass wir lange dort blieben. Als ich zurück in die Klasse kam, wurde ich mit einem Happy-Birthday-Chor begrüßt. Mein Tisch war mit Zeitungen bedeckt. Als ich die Zeitungen wegnahm, kamen lauter kleine Klebezettelchen zum Vorschein, auf denen meine Klassenkameraden Glückwünsche geschrieben hatten.

Am Abend gingen zwei aus meinem Zimmer mit mir zum Wasserhäuschen nebenan und holten heißes Wasser. Im Internatsgebäude gab es das nicht, auch zum Duschen mussten wir in ein anderes Gebäude. Und jeden zweiten Tag füllten wir im Wasserhäuschen unsere riesigen Thermoskannen nach. Mit dem heißen Wasser wuschen wir uns morgens das Gesicht und tranken es zwischendurch, wie man in Deutschland Sprudel trinkt.

Als wir zurückkamen, war das Zimmer abgedunkelt. Auf dem Boden brannte ein riesiges, rotes Herz aus Kerzen, das die anderen für mich gelegt hatten. Auf dem Tisch stand eine große Torte. Viele Freunde aus den Nachbarzimmern kamen an diesem Abend zu uns, um meinen Geburtstag zu feiern.  

Inzwischen laufe ich wieder durch die Gänge meines Gymnasiums in Dortmund. Ich komme um drei nach Hause, mache Hausaufgaben, spiele Klavier, treffe Freunde und lese. Ich habe mich gut wieder eingelebt und genieße die ganze freie Zeit. Doch oft denke ich daran, wie schön es war, mit meinen Freunden Lieder zu singen. Wie viel Spaß die Klasse bei der Silvesterfeier hatte. Wie durchgefroren wir nach der Schneeballschlacht auf dem Schulhof gewesen waren. Und wie viel ich in der Zeit gelernt habe.

 

(Quelle: http://www.spiegel.de/schulspiegel/ausland/schueleraustausch-in-china-pauken-in-der-alte-heimat-a-832431.html)

 

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