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Ein Kommentar von Tom Kahn zum Artikel über die chinesisch-europäischen Beziehungen von Song Tao

2012-11-15

"Wir verteidigen die Demokratie. Aber wir praktizieren sie nicht." Die Aussage von Norman Schwarzkopf, dem Oberkommandierenden der Koalitionstruppen im zweiten Golfkrieg, halte ich für einen der prägnantesten Kommentare über die internationale Beziehungen des Westens. Er bringt komplexe Zusammenhänge vereinfacht auf den Punkt und er verweist auf die allgegenwärtige Doppelmoral. Als Autor eines historischen Romans über die chinesisch-deutsche Geschichte sehe ich vielerorts Parallelen.

Europäische Regierungen stellen sich als die Verteidiger demokratischer Werte gegenüber China auf. Aber sie funktionieren hinter der Kulisse zunehmend wie eine Plutokratie. Wie im chinesischen Schattenspiel inszeniert man in Europa den Schein der Demokratie mit Figuren, die z.B. vom Lobbyismus getragen werden, während der Alltag von den Zwängen der ökonomischen Realität bestimmt wird. Kritiker bezweifeln gar die demokratische Legitimität der EU Kommission. Das sollen die Bürger nicht merken. Es klappt aber immer weniger. Ich glaube dabei nicht einmal, dass es so sehr eine ideologische Krise sein muß, wie die in volkswirtschaflichen Zyklen regelmäßig wiederkehrende Grundsatzdiskussion um den Kapitalismus. Homer, der Philosoph, sagt, so manches Menschen Weltanschauung ist nur eine Geldanschauung. Viele Bürger sind einfach mit der Verwendung der Gelder nicht mehr einverstanden. Banken und Pleitestaaten werden gerettet, Politiker gönnen sich finanzielle Extras aber für die Lebensgrundlagen wie Kindergärten und Schulen fehlt das Geld. Und darum geht es letztlich: um Geld. Europa braucht dringend Geld. China hat es.

Die Europäische Zentralbank hat nach Ansicht von Experten die Verträge von den Haag gebrochen, indem sie Anleihen von Mitgliedsstaaten gekauft hat. Die Problematik mit Griechenland ist bekannt. Das Experiment vereintes Europa mit seiner Währungsunion wackelt derzeit. Immer mehr Halbwahrheiten oder Konstruktionsfehler kommen ans Licht. Es wird langsam so teuer, das die Akzeptanz sinkt. Vor allem aber wird sichtbar, wie wenig Demokratie im Sinne von Reichtumsverteilung tatsächlich praktiziert wird. Helmut Schmidt empfiehlt bereits ganz offen weiterhin Verträge zu brechen, denn, so der Bundeskanzler a.D., Europa stehe am Vorabend der Möglichkeit einer Revolution. In China wird mehr Reichtum für mehr Menschen geschaffen. Die Chinesen sparen gewaltige Summen, finanzieren ihr Wachstum selber und blicken voller Optimismus in die Zukunft. In Europa hingegen findet eine Umverteilung statt, bei der eine Minderheit zunehmend reicher und die Mehrheit - inklusive des Staatswesens - zunehmend ärmer wird. Die (relative) Kinderund die Altersarmut wächst. Ein Großteil der Bevölkerung kann nichts sparen. Der gängige Indikator für die Vermögensverteilung verschlechtert sich. Manch einer sieht schon bald den sozialen Frieden gefährdet. Occupy Frankfurt war vielleicht nur ein Vorbote. Langfristig könnte Der Altkanzler recht haben.

Wenn Europa nun in solch einer tiefen finanziellen Krise steckt, die immer mehr, so scheint es, von China finanziert wird, wird es zunehmend schwerer, China öffentlich zu kritisieren und gleichzeitig hintenrum um Hilfe zu bitten. Die Amerikaner scheinen in einem vergleichbaren Dilemma zu stecken. Sie müssen sich vor Ihren Wählern als demokratische Vorkämpfer positionieren, um von wirtschaftlichen Zwängen und Ungleichheiten abzulenken. Gleichzeitig lassen sie sich ihren Lebensstandard von China finanzieren. Der Historiker Niall Ferguson drückt es so aus: Die Volksrepublik China ist Amerikas Banker geworden. Seit Jahrhunderten fließt zum ersten Mal das Geld von Ost nach West.

Der Stellvertretende Außenminister Chinas, Song Tao, hebt in seinem Artikel für eine bessere Zukunft der chinesisch-europäischen Beziehungen den Beitrag seines Landes an den IMF und an die europäischen Staaten zur Bekämpfung der Schuldenkrise hervor. Für den Laien sieht es so aus, als wäre China bereits die Zentralbank der Welt. Wobei wohl auch die Gelder der großen Staatsfonds eine Rolle spielen. Nun, mit seinen Geldgebern und Investoren, zumal wenn man sie so verzweifelt benötigt, sollte man es sich nicht verscherzen.

Vor diesem Hintergrund würde ich mir von unseren Regierungen entsprechend dem Bekenntnis von Song Tao zur europäischen Integration ein Bekenntnis zu einem stabilen, prosperierenden und vereinten China wünschen. Auch die westlichen Medien könnten gelegentlich daran erinnern, daß China für das Erreichte Respekt verdient und durchaus an Reformen arbeitet. Man sagt oft, in 30 Jahren wurde wirtschaftlich geschaffen, wofür Europa 200 Jahre gebraucht hat. Exemplarisch wird gerne das chinesische Rechtssystem genannt, das mit Hilfe deutscher Experten verbessert wurde. Und das, wie Nobelpreisträger Joseph Stieglitz betont, ohne sich wie andere ehemalige Schwellenländer von IMF oder der Weltbank abhängig zu machen.

Aus historischer Sicht ist es nicht allzu lange her, dass europäische Mächte China unterdrückt, zerstört und gedemütigt haben. Als das Geld noch von Westen nach Osten floß, kam es mit Kanonenbooten. Die Britische Ostindien Kompanie begann das Elend des Opiumhandels. William Jardine und James Matheson nahmen Hong Kong als Zeichen des viktorianischen Triumphes. Die größte Revolution der Menschheitsgeschichte, die Taiping Revolution mit mehr Toten als beide Weltkriege zusammen, hat christliche Bezüge. Für vieles, was China ins Chaos stürzte und das Land destabilisierte tragen die alten imperialen Mächte zumindest eine Mitverantwortung - zum Teil mit Wirkungen bis in unsere Tage hinein. Das Lieblingsthema der europäischen Regierungen, die Tibetfrage, wurde letztlich mit dem Einmarsch britischer Truppen angestoßen. Es kann seltsam anmuten, dass sich heute Länder für Tibet einsetzen, die es einst selber besetzen wollten. Auch die USA haben sich lange weniger für Tibets Freiheit als vielmehr für die strategische Lage im Kalten Krieg interessiert. Man kann durchaus die Frage stellen, ob oder inwieweit Mao durch koloniale und nicht zuletzt CIA Aktivitäten veranlasst wurde, in Tibet militärische Präsenz zu zeigen.

Heute nähert sich das 10 jährige Jubiläum der chinesisch-europäischen Partnerschaft. Der stellvertretende Außenminister Chinas betont das große Kooperationspotenzial auf wirtschaftlicher Ebene bis hin zu Fragen der nachhaltigen Entwicklung. China ist dabei ökologisch umzudenken. Gleichzeitig bietet er nach den Prinzipien des gegenseitigen Respekts, der Gleichberechtigung und des gegenseitigen Nutzens an, Reibungen und Meinungsunterschiede angemessen zu behandeln.

Ein Reibungspunkt oder eine Meinungsverschiedenheit, bei der sich China von seinem Partner Europa eine angemessene Behandlung erhoffen mag, ist der Dalai Lama. Westliche Medien und Regierungen nutzen den Gottkönig gerne für das demokratische Schattenboxen gegen den chinesischen Drachen. Damit gefährden sie die dringend benötigten guten Beziehungen. Unnötig, wie sich zeigt: Der Dalai Lama ist kein Vegetarier. Er ist auch kein Buddhist. Jedenfalls kein Vollblütiger. Er verteidigt den Buddhismus. Aber er praktiziert ihn nicht. Brüche buddhistischer Maximen durchziehen die gesamte Geschichte seines Landes. In Peking kennt man die historischen Feinheiten Tibets besser als in Europa. Man könnte sich dort darüber wundern, warum die Länder der Aufklärung, nachdem sie mühsam Kirche und Staat getrennt haben, jetzt wieder auf den Vertreter einer Theokratie hören. Stattdessen findet man in Peking ein tiefes Verständnis für die Kultur und Geistesverfassung Europas vor. Das gleiche tiefe Verständnis für chinesische Kultur und Geschichte kann sich China von seinem Partner Europa wünschen. Was für Europa die Integration oder die Demokratie bedeuten, ist für China die Stabilität. Für Europäer wie für Amerikaner ist es immer schwer zu begreifen, dass in anderen Ländern die Demokratie nicht immer das höchste, von der Mehrheit des Volkes angestrebte Gut ist. Die Betonung liegt auf dem Wort "Mehrheit". Künstler und Aktivisten, mit denen der Westen sympathisiert, stellen keine Mehrheit dar, auch wenn es einem nicht paßt. Der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama hat, um einmal ein anderes Beispiel heranzuziehen, mit Blick auf die Entwicklungen in der islamischen Welt seine These vom Ende der Geschichte revidiert, nach der alle Menschen in Marktwirtschaften und Demokratien westlicher Prägung leben wollen oder werden. Im Falle Chinas gelten ebenfalls andere als europäische Werte. Das muß man akzeptieren. Und dabei hat Europa ein ureigenes Interesse an einem stabilen Reich der Mitte. Wenn sich, wie vom Westen gerne gefordert, die Ethnien des Vielvölkerstaates inklusive Tibet für unabhängig erklären würden, könnte China mit sämtlichen Staatsanleihen und Währungsreserven der Welt im Strudel des Bürgerkrieges versinken. Das Szenario könnte dem der Sowjetunion folgen. Nur anders als Russland würde ein destabilisiertes China womöglich die ganze Weltwirtschaft mit in den ökonomischen Abgrund reißen. Von dem Waffenarsenal ohne Kontrolle ganz zu schweigen. Der Dalai Lama könnte dann auch nichts mehr für Europa und seine Schuldenkrise tun.

Wen Jiabao wird in dem gleichen Artikel zitiert mit den Worten: China ist ein zuverlässiger Freund und Partner der EU. Es wäre für die EU Mitglieder sicher hilfreich, ihre bisherigen moralischen Angriffe gegen China zu überdenken und umgekehrt das gleiche zu erklären. Das sollte Regierungen wie Medien nicht schwer fallen, da man bei anderen Ländern der Welt in Sachen Demokratie, Territorialansprüchen oder Menschenrechte auch mit zweierlei Maß misst und bei Freunden gerne mal beide Augen zudrückt. Man muß nur wissen, wo man seine Freunde hat.

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