Start   Bekämpfung COVID-19   Das Generalkonsulat   Konsularischer Service   Bildung und Kultur   Wirtschaft   Willkommen
in China
 
 Kontakt 
  Start > Wie sehen die Deutschen China
Können Chinesen eigentlich auch selbst erfinden?

2013-03-13

China will nicht länger nur Werkbank der Welt sein und investiert Milliarden in die Forschung. Auch westliche Unternehmen ziehen bei der Innovationsoffensive mit: Ab Sommer forscht Apple in Shanghai. Von Nina Trentmann

"Dreammaker" summt bei der Arbeit. Gleichmäßig fährt der 3D-Drucker vor und zurück, immer wieder, und sprüht dabei Plastikmasse aus dünnen, farbigen Plastikschnüren, die er erhitzt und schmilzt, bevor er druckt. Heute formt er daraus eine grüne iPhone-Hülle mit aufwendigem Lochmuster und vielen Verzierungen.

Millimeter für Millimeter wächst das Produkt. "Der ist damit locker noch ein paar Stunden beschäftigt", sagt Ricky Ye und tippt grinsend an den Drucker. "Noch braucht er ziemlich lange", sagt der 34-jährige Chef der Firma DF Robot. "Das muss besser werden."

Ye und seine knapp 30 Mitarbeiter verkaufen 3D-Drucker, sie programmieren Software und forschen an Robotern. Ihr Büro im Zhangjiang Hi-Tech Park in Shanghai-Pudong gleicht einer riesigen Werkstatt: Überall wird geschraubt, getippt, summen die Drucker.

"Es gibt hier viele Leute mit großartigen Ideen", sagt Ricky Ye und breitet die Arme aus. "Aber wir sind in der Minderheit. China muss viel innovativer werden", fordert der Unternehmer, "sonst fallen wir zurück."

"Den Kindern fehlt die Kreativität"

Das hat auch Lutz Michaelis beobachtet. Der Deutsche ist bei DF Robot angestellt, forscht an Robotern und 3D-Druckern. "Den meisten Kindern hier in China fehlt die Kreativität", sagt der 48-Jährige, "nur die wenigsten haben schon mal etwas gebastelt oder etwas ausprobiert. Das Land muss erfinderischer werden."

Ob das gelingt? Schafft es das Reich der Mitte, vom Kopierer zum Erfinder zu werden? Die chinesische Regierung hat diese Frage mit einem klaren "Ja" beantwortet und stellt Milliarden an Fördergeldern bereit. Gleichzeitig fordert sie lokale und ausländische Firmen auf, ihre Forschung und Entwicklung (F&E) zumindest teilweise nach China zu verlegen.

67 Prozent der Firmen in China, so eine aktuelle Studie der China Europe International Business School (CEIBS) in Shanghai, wollen ihre F&E-Aktivitäten in diesem Jahr ausbauen. "China ist noch immer die Werkbank der Welt", sagt Professor Juan Antonio Fernandez, der die Studie verfasst hat. "Es gibt aber mehr und mehr gute Ingenieure und Erfinder."

Die Regierung lockt Wissenschaftler zurück

Auf dem Papier kann China mit beeindruckenden Zahlen aufwarten: Die Volksrepublik stellt mit mehr als drei Millionen die meisten Mitarbeiter in Forschung und Entwicklung weltweit. Laut "Economist" ist es inzwischen das Land mit den meisten Patenten und den meisten Bachelor-Studenten; Hunderttausende Chinesen studieren im Ausland.

Die Regierung versucht gezielt, ihre Wissenschaftler aus dem Ausland zurückzuholen, damit sie in China forschen. Auf dem Volkskongress in Peking war dieser Tage viel von Innovation die Rede, Wissenschaftsminister Wan Gang sagte, für eine nachhaltige Entwicklung des Landes seien Innovationen dringend nötig.

2012 gab das Land 1,97 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Forschung und Entwicklung aus, mehr als 123 Milliarden Euro. In Deutschland lag der Wert 2011 bei 2,9 Prozent oder 74,6 Milliarden Euro.

Doch reicht Geld allein aus, um zum Westen aufzuschließen? Experten bewerten das sehr unterschiedlich: "China hat sich vom Imitator zum Innovator entwickelt. Deshalb braucht es jetzt hochqualifizierte Akademiker", sagt Oliver Koppel vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln.

Max von Zedtwitz, Direktor des Glorad-Forschungszentrums in Shanghai, sieht das kritischer: "Grundsätzlich verbessert sich die Innovationsfähigkeit Chinas von einem niedrigen Niveau ausgehend", sagt er, "allerdings hat sie in nur wenigen Gebieten bislang wirklich westliches Niveau erreicht. Es fehlt an Grundlageninnovationen."

Viele Firmen fürchten noch immer Ideenklau

Die chinesische Regierung versucht, das zu ändern, indem sie ausländische Unternehmen ermuntert, Teile ihrer Forschung nach China zu verlegen. Der CEIBS-Studie zufolge unterhalten bereits 52 Prozent der ausländischen Unternehmen F&E-Einrichtungen in China, ab Sommer soll auch der kalifornische Technologiekonzern Apple in Shanghai forschen.

"China erhofft sich Inspiration und Methodentraining von ausländischen F&E-Zentren. Was genau in diese Einheiten passiert, ist aber abhängig von der Umsetzung der einzelnen Unternehmen", sagt von Zedtwitz. "Einige Unternehmen setzen vor allem auf lokale Produkte und Technologien, also Anpassung für China. Andere betreiben Forschung und Entwicklung nur dem Namen nach."

Zwar sind die Gesetze zum Patentschutz inzwischen deutlich schärfer geworden. Trotzdem halten nach wie vor viele westliche Firmen das Risiko für zu groß, wichtige Teile ihrer Forschung und Entwicklung für den globalen Markt in China anzusiedeln. So hat sich zum Beispiel Krones, ein Spezialist für Getränkeabfüllanlagen aus dem süddeutschen Neutraubling, gegen Forschungseinrichtungen in China entschieden. "Wir haben unsere gesamte Forschung an einem Ort – in Neutraubling in Deutschland", sagt Christian Blatt, Geschäftsführer von Krones im chinesischen Taicang.

Die lokale Konkurrenz wird stärker

Andere Unternehmen, zum Beispiel der Ventilatorenhersteller EBM-Papst aus Mulfingen in Baden-Württemberg, verlegen dagegen Teile ihrer Forschung und Entwicklung nach China. EBM-Papst eröffnete vor kurzem eine neue Fabrik im Industriegebiet in Pudong, mehr als 30 Ingenieure forschen dort für den Mittelständler. Rund fünf Millionen Euro hat das Unternehmen investiert, die Zahl der Ingenieure soll bald weiter wachsen.

"Alles, was hier produziert wird, soll hier entwickelt worden sein", sagt Rainer Hundsdörfer, Vorsitzender der Geschäftsführung von EBM-Papst.

Ihm geht es dabei vor allem um die Anpassung seiner Produkte an den chinesischen Markt, nicht so sehr um richtige Neuentwicklungen. "Es sind kleine Details, die aber in China komplett anders produziert werden", sagt Hundsdörfer. Ventilatoren, die in China verkauft werden, sollen weniger Funktionen haben. "Es reichen zwei Knöpfe statt fünf."

Weil EBM-Papst vor allem anpasst, hat das Unternehmen entsprechend wenig Angst vor Ideenklau. Dazu kommt: "Die Rechtslage ist inzwischen deutlich klarer." Nicht Kopieren sei das Problem, sondern die wachsende Konkurrenz durch lokale Firmen: "Unsere chinesischen Wettbewerber fangen jetzt auch an zu entwickeln", sagt Hundsdörfer, "darauf müssen wir ein Auge haben."

125.000 Euro für einen Doktor

Bei Original Life macht man sich über Imitatoren keine Sorgen. Hier, in einem Dachgeschoss im Shanghaier Hongkou-Distrikt nahe des Stadions, forschen Ausländer und Chinesen gemeinsam. In gläsernen Tanks gluckert Wasser, Fische schwimmen darin umher. Ihre Ausscheidungen düngen Pflanzen, die in einer Schale über dem Wasser wachsen, ein dünner Plastikschlauch verbindet die beiden Systeme. Die Technologie, an der das Unternehmen forscht, heißt Aquaponics, es geht darum, gleichzeitig Gemüse und Fische zu züchten.

"Das ist eine echte Revolution", sagt Irving Steel, der Chef von Original Life. "So entwickeln wir die Nahrungsmittel der Zukunft." Der Amerikaner will mit seinen chinesischen Kollegen die Art und Weise, wie China produziert, nachhaltig verändern.

Die Shanghaier Stadtverwaltung hat Steel mit offenen Armen empfangen: Nach genau solchen Ideen suchen die Chinesen. "Sie haben uns Büroräume angeboten", sagt Steel, "und für den ersten Mitarbeiter mit Doktortitel, den wir eingestellt haben, gab es eine Million Renminbi Fördergeld." Eine Million Renminbi, das sind etwa 125.000 Euro. Nicht schlecht für ein kleines Start-up, das bislang gerade mal sechs Mitarbeiter hat.

"Das aber ist die Schwierigkeit", sagt Steel, "es fehlt in China nicht an Geld, sondern an Kreativität." Der 26-Jährige macht dafür in erster Linie das Schulsystem verantwortlich. "Wir haben hier junge Chinesen zu Besuch, die hören zum ersten Mal in ihrem Leben, dass sie kreativ sein dürfen." Er ermuntere sie dazu, sich auszuprobieren.

Planwirtschaft im Patentwesen

Auch Kim Francois sieht das chinesische Schulsystem als Hauptgrund für die mangelnde Innovationsfähigkeit des Landes. Die 31-Jährige leitet das China-Geschäft des belgischen Software-Unternehmen Materialise, das unter anderem 3D-Drucker herstellt.

"Es ist nicht schwer, kreativ zu sein, wenn man anders erzogen wurde", sagt sie. Noch aber sei eine Karriere in einem großen Unternehmen, gerne in einem Staatsbetrieb, das Non-Plus-Ultra, das sich chinesische Eltern für ihre Kinder vorstellen können. "Wer vom Pfad abweicht und lieber stundenlang bastelt, passt nicht ins Schema", sagt Francois.

Staatliche Investitionen allein können das Dilemma nicht lösen. "Wo keine Idee ist, ist auch kein Produkt", sagt Roboterforscher Michaelis. "Kreativität und Erfindungsreichtum lassen sich nicht erzwingen." Trotzdem scheint es, als wolle die chinesische Regierung genau das: "In China werden Patente noch immer "top-down" planbewirtschaftet", kritisiert Glorad-Chef von Zedtwitz, "es werden zentrale Vorgaben gemacht, wie viele Patentanmeldungen pro Jahr von welcher Institution kommen sollen. Dies wird dann lokal umgesetzt."

Im Jahr 2015 will China so zwei Millionen Patente anmelden. Doch auf die Zahl allein komme es gar nicht an, meint Management-Professor Fernandez, sondern darauf, ob und wann es einem in China ausgebildeten und in China tätigen Forscher gelingt, den Nobelpreis zu gewinnen. "Dann hat das Land den Sprung wirklich geschafft", meint Fernandez.

Bis das geschieht, wird noch viel Zeit vergehen. Ricky Yes 3D-Drucker "Dreammaker" wird dann sicher schneller sein. Gerade druckt er den zweiten Schuh eines Paars von High Heels. "Das dauert noch 26 Stunden", sagt Ye und schaut sich den ersten Schuh genau an.

Natürlich will er die Technologie auf Dauer nicht dazu verwenden, Schuhe zu drucken. "Wir wollten einfach mal rumprobieren und schauen, was passiert." Vielleicht führt das in die richtige Richtung; zu einer großen, bahnbrechenden Erfindung, made in China.

(Quelle: welt.de, den 13. März)

Suggest To A Friend
  Print