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Wie steht es mit dem „Chinesischen Traum"?

2013-03-18

 ·  Die neue Führung in China träumt von einer Renaissance. Jetzt diskutiert das Land darüber, wie universalistisch die eigene Kultur eigentlich sein kann und vor allem sein soll.

Was ist eigentlich der chinesische Traum? Jenseits der Parteilinie geht die Meinung weit auseinander. Für Liu Yang, die erste chinesische Astronautin, bedeutet er, eine „gute Astronautin" zu sein. Im Sommer 2012 zeigte sie sich im Raumfahrtzentrum Jiuquan

Über den „American Dream" braucht China keine Belehrung. Die Angebote der Neuen Welt, von Hollywood über Disney bis zum Versprechen, jeden Menschen gleich zu achten und ihn sein Glück machen zu lassen, werden in ihrer Universalität von den Bürgern der Volksrepublik nicht nur verstanden, sondern beherzt ergriffen - was sich an den Kinokassen ebenso wie an den Statistiken über den Erwerb von Immobilien in den Vereinigten Staaten messen lässt.

Wie aber steht es mit dem „Chinesischen Traum"? Der Begriff („Zhongguo meng") schwirrt seit Jahren durch die chinesischen Medien, wohl auch, weil es sich so gehört, dass die neue Weltmacht einen mindestens so großen „Traum" hat wie die alte. Zur Strategie des Landes gehört es seit zehn Jahren, die Welt auch mit „Soft Power" gewinnen zu wollen.

Vielstimmigkeit statt gemeinsamer Ziele

Offenbar soll die Traumformel nun auch zum zentralen Begriff der Präsidentschaft Xi Jinpings werden. Zum Abschluss des Volkskongresses sagte er, es gelte, den „chinesischen Traum der großen Renaissance der chinesischen Nation" zu verwirklichen. Schon kurz nach seiner Ernennung zum Parteichef im November hatte er den „Traum" zum Programm erklärt. Danach wetteiferten Blogger, Zeitungskommentatoren und Prominente darin, ihre eigenen Definitionen zu geben. Der eine versteht mehr Wohlstand darunter, der andere weniger korrupte Funktionäre, der dritte die Wiedervereinigung mit Taiwan.

Für die erste chinesische Astronautin besteht der chinesische Traum darin, eine gute Astronautin zu sein, für nationalistische Websites ist es der Traum eines starken Militärs und für einen Blogger wäre es die Aussicht, Chinas Angelegenheiten diskutieren zu können. Mit anderen Worten: Die empirische Vielstimmigkeit widerlegt die mit dem Begriff suggerierte Vorstellung, das chinesische Volk habe gegenwärtig ein spezifisches gemeinsames Ziel.

Uneindeutiges Programm

Auf der normativen Ebene der neuen Parteiführung existiert dieses Ziel jedoch: „das Wiederaufblühen der chinesischen Nation". „Wiederaufblühen" oder „Renaissance" (auf Chinesisch „fuxing") ist tatsächlich ein Schlüsselbegriff, mit dem chinesische Intellektuelle seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts die historische Mission ihres Landes beschrieben haben. Die künftige Bestimmung Chinas scheint dabei in der Vergangenheit angesiedelt zu werden: in der Wiedererlangung eines Zustands der Vitalität, Größe und Bedeutung, die das Land vor seiner Konfrontation mit europäischen Mächten im neunzehnten Jahrhundert hatte.

Ein solches Programm als „nationalistisch" zu bezeichnen, würde zu kurz greifen. Das Etikett verfehlt die innere Widersprüchlichkeit des Unterfangens: Zu ihrer alten Größe kann die Nation gar nicht wiedererstehen, weil sie zu Zeiten ihrer Größe noch keine Nation war - sondern ein Staat und eine Kultur, die sich selbst als Welt wahrnahmen, außerhalb der es nichts wirklich Nennenswertes gibt. Der Schock und die Demütigung des neunzehnten Jahrhunderts bestanden nicht zuletzt darin, dies als Irrtum einsehen zu müssen und sich notgedrungen in wirtschaftliche, politische, militärische und kulturelle Abhängigkeit von anderen zu begeben. Das Konzept einer „Nation", die sich zu anderen Nationen in Beziehung setzt, verbreitete sich erst danach in China.

Das Programm des Wiederaufblühens ist daher viel uneindeutiger, als es auf den ersten Blick aussieht: Wie soll die Beziehung zu anderen Nationen sein, wenn China „wieder" so stark ist wie zu der Zeit, als andere Nationen für das Land nicht zählten? Für die Beantwortung dieser Frage kann die Vergangenheit keinen Maßstab liefern. Was aber liefert ihn? Von welchen kulturellen, politischen, militärischen Bedingungen wird es abhängen, dass China das Ziel seiner Wiedererstehung als erreicht erklärt?

Den chinesischen Weg gehen

Die Bedeutung dessen, was mit der „Renaissance" Chinas gemeint ist, hat sich im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts bezeichnend verschoben. Die Intellektuellen der 4.-Mai-Bewegung von 1919, auf die sich die in Taiwan regierende Kuomintang ebenso beruft wie die Kommunistische Partei, stellten sich bei diesem Begriff vor allem die Frage, wie China so aufgeklärt und kosmopolitisch werden könne, dass es seiner Kultur wieder Leben einhauchen könne. Um die Nation also wieder selbstbewusst zu machen, soll sie von anderen lernen: Dieser nur scheinbar paradoxe Ansatz ist bis heute geblieben. Doch die Fokussierung auf die Kultur ist in den Wirren der Bürgerkriege, der Kulturrevolution und der kapitalistischen Reform irgendwie verlorengegangen.

Wenn Xi Jinping heute von „Wiederaufblühen" spricht, meint er wie selbstverständlich vor allem den Staat, der „wieder stark" werden sollte. Er sagt zwar auch, man solle den „chinesischen Geist" ausbreiten, doch statt einen Hinweis zu geben, was darunter zu verstehen ist, wiederholt er: „Um den chinesischen Traum zu verwirklichen, muss China den chinesischen Weg gehen."

Was gehört dazu?

Damit aber bleibt der „Chinesische Traum" eigentümlich leer - er träumt bloß von sich selbst. Er verrät nicht, wofür dieses Gebilde steht, dessen Wiederherstellung er sich wünscht. Zugleich lässt er jedoch auch keinen Zweifel daran, dass er nicht mit dem Verlangen jeder beliebigen Nation nach Gedeihen und Wohlergehen zu verwechseln ist: Es geht um die Vitalisierung eines Staatswesens, das sich selbst für das Ganze hielt. In dieser keiner Begründung bedürfenden Selbstbezüglichkeit könnte der tiefere Grund für das spektakuläre Scheitern aller bisherigen Soft-Power-Anstrengungen Chinas liegen.

(Quelle: F.A.Z.)

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