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China: Entzaubert

2013-07-22
      Die Aufsteigermächte müssen vom Rekordwachstum Abschied nehmen. Das autoritäre Modell stößt an Grenzen.
 Ch

inas langer Abschied vom märchenhaften Wachstum fordert den Blick zurück. Geboren wurde der Hype vor zehn Jahren, als die Investmentbank Goldman Sachs die Studie Dreaming with the BRICs auf den Medienmarkt warf. Brasilien, Russland, Indien und China sollten die unaufhaltsamen Aufsteiger sein, die demnächst den Westen deklassieren würden. Außer dem Kürzel hatten die vier nur doppelstellige Wachstumsraten gemeinsam.

Es war bloß ein Traum, auch wenn er Spenglersche Visionen vom Untergang des Abendlandes entfachte. Chinas Wachstum hat sich fast halbiert gegenüber der Rekordmarke von 14,2 Prozent. Das indische hat sich halbiert. Gemessen an den Spitzenwerten ist Brasilien auf ein Fünftel, Russland gar auf ein Siebentel zurückgefallen. Wir wollen den Abstieg der Aufsteiger nicht übertreiben. Wie der Westen leiden sie an der Dauerkrise, die seit 2008 die Welt quält. Der Motor ihrer berauschenden Performance war und bleibt der Export, doch der lahmende Welthandel gibt die Nachfrage nicht mehr her. Im Aufschwung werden die Emporkömmlinge wieder zulegen. Dennoch: Dahinter wirken Kräfte, die den Traum dauerhaft stören werden.

Der rasante Aufstieg der vier spiegelt vorweg eine rein rechnerische Gemeinsamkeit: Wer klein anfängt, wächst schnell – ein arithmetisches Gesetz. Start-up-Länder wie China und Indien, die auf dem Sockel unsäglicher Armut begannen, schossen doppelstellig nach oben; wo nichts war, gibt schon ein moderates Plus fabelhafte Prozente her. Dito bei den kleinen asiatischen "Drachen" wie Taiwan und Südkorea in der Startphase. Das Wachstum der Wunderkinder ist überall abgeflacht, gar gen null wie in Japan, dem "China" der Achtziger, dem man damals den Griff zur Weltherrschaft nachsagte.

Das zentrale Problem aber ist das "asiatische Modell" der "autoritären Modernisierung" – nennen wir es "Modernitarismus". Ob bei den "kleinen Drachen" damals oder beim ganz großen chinesischen heute, das Modell war immer gleich: Unterkonsum, Überinvestition, Unterbewertung der Währung, Export über alles. Obendrauf thronten autoritäre Regime: in Taipeh und in Seoul, in Peking unter Deng Xiaoping, die den Markt durch Macht ersetzten. Japan war zwar formell eine Demokratie, in Wahrheit aber ein Ein-Parteien-Staat am Zügel der LDP.

Der Modernitarismus vollbringt am Anfang Wunder, siehe auch die fieberhafte Industrialisierung unter Stalin und Hitler, die per Zwang und Massenmobilisierung ablief. Deshalb hatten die Alleinherrscher so viele Bewunderer im Westen – wie heute das chinesische Regime. Ist das Modell nicht effizienter als der demokratische Kapitalismus mit seinen Krisen und Krächen? Auf Dauer nicht. Wenn nicht mehr Panzer, sondern Mikrochips gefordert sind, versagt die Befehlswirtschaft. "Humankapital" muss motiviert, nicht kujoniert werden. Auch heute ist Russland bloß eine Ausbeutungsökonomie, deren Schicksal am Preis für Öl, Gas und Erz hängt. Um auch nur mit dem Westen mitzuhalten, braucht es den Rechtsstaat, freiheitliche Institutionen und freie Märkte, vor allem für Kapital.

All diese Geburtsfehler bekommt China nun zu spüren, das schon 2020 Amerika überholen sollte. Das Land investiert fast die Hälfte seines BIP. (In den USA sind es zehn Prozent.) So viel Konsumverzicht schafft eine Demokratie nie. Es ist ein Fluch obendrein. Die Ökonomen dozieren vom "abnehmenden Grenzertrag": Jeder zusätzliche Yuan bringt weniger Output und Jobs. Weil Kapital, von Staatsbanken an Favoriten und Staatsfirmen verschleudert, zu billig ist, wird es falsch eingesetzt. Weil Kapitalmärkte fehlen, gehen Ersparnisse in Immobilien. Davon zeugen Millionen leer stehender Wohnungen. Regiert der Staat die Wirtschaft, regieren auch Korruption und Nepotismus. Die Familie des Premiers Wen hat 2,7 Milliarden Dollar angehäuft.

China-Verehrer verpönen den Vergleich mit "kleinen Drachen" und verweisen auf die schier unerschöpfliche "industrielle Reservearmee" (Karl Marx) auf dem Land. Schauen wir genauer hin. Kein Land altert schneller als China. Laut UN-Statistiken wird die arbeitende Bevölkerung schon von 2015 an schrumpfen. Amerika bleibt dagegen nach Indien das jüngste Land unter den Großen. Auf jeden Fall schwindet der Konkurrenzvorteil Chinas. Unter Deng lag das Jahreseinkommen eines Arbeiters bei 1.000 Yuan, heute bei knapp 40.000. Der Economist sagt voraus, dass Arbeitskosten in der Industrie 2015 das US-Niveau erreichen werden – schlechte Aussichten für die "Weltfabrik" China.

Der Modernitarismus, der in seiner populistischen Variante auch Brasilien unter Lula (2003 bis 2011) fünfmal schneller wachsen ließ als heute, ist gut für den Anfang. Doch wächst mit der Wirtschaft auch die Bedrohung. Die eine heißt "Ungleichheit", die in allen Brics wuchert. Die andere heißt "erst reicher, dann renitent"; die Mittelschicht fordert ihr Mitspracherecht. Die Dauerunruhen in Brasilien widerspiegeln beide Brandherde. Die Schicksalsfrage: Wie lange kann die chinesische KP das Volk trotz schrumpfender Verteilungsmasse stillhalten? Nach Tiananmen stürzte China ins Minuswachstum.

Diesseits von Amerika schlittern die Demokratien heute auf der Null-Linie herum. Aber sie haben den Vorteil der Selbstkorrektur, die im freien Spiel der Kräfte und Gedanken wurzelt. Dagegen sind die Fesseln der Autoritären systembedingt. Deshalb warnt ihr aufhaltsamer Aufstieg: Das Wunder zerstört sich selber.

(Quelle: die Zeit)

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