Start   Bekämpfung COVID-19   Das Generalkonsulat   Konsularischer Service   Bildung und Kultur   Wirtschaft   Willkommen
in China
 
 Kontakt 
  Start > Wie sehen die Deutschen China
Chinas Staat zieht sich aus der Wirtschaft zurück

2013-11-12
 Das „Dritte Plenum des Zentralkomitees" – von der Propaganda als wichtigster Reformgipfel des Jahrzehnts gepriesen – ist beendet. Die zentrale Botschaft: Die Partei verspricht mehr Freiheit und Kapital für Privatfirmen.

PekingFrau Jiang ist der Stolz auf ihre rote Armbinde deutlich anzumerken. Etwas selbstverliebt schielt die 67-Jährige seitlich darauf, während sie im Pekinger Stadtviertel Sanlitun ihre Strecke abläuft. Sie tut hier ihre Pflicht als freiwillige Nachbarschaftswache – in Chinas Hauptstadt herrscht eine erhöhte Sicherheitsstufe. Denn fünf Kilometer entfernt in der Großen Halle des Volkes haben die mächtigsten Männer und Frauen Chinas gerade über den künftigen Kurs des Landes entschieden.

Viele im Lande hoffen nun darauf, dass bei den Reformen etwas für sie herausspringt. „Ich würde mir wünschen, dass meine magere Rente etwas steigt", sagt Frau Jiang. Dann strafft sie sich und fügt politisch korrekt hinzu: „Aber ich bin in jedem Fall überzeugt, es wird sehr wichtige Verbesserungen in Staat und Partei geben!"

Am Dienstagabend ist in Peking das sogenannte „Dritte Plenum des Zentralkomitees" zu Ende gegangen. Die Propaganda hatte das Treffen als wichtigsten Reformgipfel des Jahrzehntes angepriesen. Das Abschlussdokument könnte Frau Jiang tatsächlich Anlass zur Hoffnung geben: Eine Verbesserung der sozialen Absicherung gehört offenbar zu den Beschlüssen. Doch diese findet sich erst weit hinten und ist nur ein Detail in einem ausgeklügelten Gesamtplan.

Die wichtigste Nachricht steht ganz vorne: Der Staat will sich weiter aus der Wirtschaft zurückziehen. Die Privatwirtschaft soll mehr Freiheit bekommen. „Der Markt soll eine entscheidende Rolle bei der Nutzung der Ressourcen bekommen", heißt es in der Abschlussmitteilung des Treffens. Diese Formulierung klingt unscheinbar, bedeutet für Chinas Kommunisten jedoch einen großen Schritt nach vorn. Bisher war ihre Linie, dass der Markt nur eine „grundlegende Rolle" spielen soll.

Damit scheint sich Premier Li Keqiang innerhalb der Partei mit seiner Linie durchgesetzt zu haben. Der promovierte Ökonom hält Privatisierungen und mehr Marktwirtschaft für den richtigen Weg, um die lahmende Wirtschaft des Landes wieder auf Trab zu bringen. Doch viele Mitglieder der Kommunistischen Partei (KP), deren Vizechef er ist, stimmen dem nicht ohne weiteres zu. Privatisierungen scheinen ihnen der Weg in eine instabile Wirtschaft im US-amerikanischen Stil zu sein. Nicht zuletzt fürchten sie um Pöstchen und Pfründe, wenn die Partei die volkseigenen Betriebe abwickelt.

Umfassende Finanzreform geplant

Vor allem auf Ebene der Gemeinden, Städte und Provinzen könnte es nach dem Beschlüssen nun Veränderungen geben. Bisher steuern die örtlichen Regierungen nicht einfach nur die Verwaltung – sie sind selbst die wichtigsten Wirtschaftsteilnehmer. Sie gründen Firmen, päppeln sie mit Subventionen, verschaffen ihnen Märkte. Sie planen neue Stadtteile, und lassen sie komplett inklusive der Industrie bauen. Doch dieses Vorgehen gilt als veraltet: Nur weil ein Provinzpolitiker ein treues Parteimitglied ist, weiß er nicht unbedingt am besten, wie das Steuergeld angelegt sein sollte.

Und das Zentralkomitee hat noch eine weitere wichtige Baustelle aufgerissen: Eine umfassende Finanzreform soll die Banken zu modernen Dienstleistern machen. Bisher gehörten die Institute des Landes mit einer Ausnahme dem Staat. Sie waren bisher vor allem Komplizen der Staatsunternehmen und Provinzfürsten. Der Weltbank zufolge haben Staatsfirmen in China bisher die Hälfte der Investitionen erhalten, während sie nur 13 Prozent der Arbeitsplätze gestellt haben. Außerdem sei ihre Produktivität um ein vielfaches geringer. Premier Li kann also noch erhebliche Kräfte freisetzen, indem er die Finanzierung des privaten Mittelstands verbessert. Das soll nun geschehen.

Eine überraschend weitreichende Ankündigung betrifft die Rolle der Verfassung im politischen System. „Die Autorität der Verfassung ist zu schützen", gab das Abschlussdokument vor. Ziel sei ein „unabhängiges und gerechtes Justizsystem" mit weitreichenden Möglichkeiten, seine Rechte einzuklagen. Die chinesische Justiz krankt bisher daran, dass sie sich vollständig unter der Kontrolle der KP befindet. Damit versagt sie völlig bei der Überwachung der allmächtigen Partei. Korrupte Bürokraten fühlen sich bisher vergleichsweise sicher. Einfache Bürger können sie nur bei der Partei anzeigen, nicht bei der Polizei. Vielleicht könnte sich hier nun etwas ändern.
Insgesamt waren am frühen Dienstagabend Ortszeit nur vereinzelte Informationsbruchstücke aus dem Abschlussdokument des Plenums zu erfahren. Auch wenn die amtliche Nachrichtenagentur Xinhua den Volltext veröffentlicht, wird nicht sofort klar sein, was geplant ist. In Chinas politischer Kultur sind es oft nur kleine Variationen in jahrzehntealten Phrasen, in denen sich ein Umdenken offenbart.

Oma Jiang kann derweil ihre Schicht als Nachbarschaftswache beenden. „Ich bin froh, dass ich meine alten Knochen nun ausruhen kann", sagt sie und hält sich die schmerzende Hüfte. „Es wäre wirklich toll, wenn die da oben die Zuzahlungen beim Arzt abschaffen würden." Erst in der Umsetzung wird sich nun zeigen, ob die neue Regierungspolitik für Rentner wie sie nun auch konkrete Verbesserung wie die Ausweitung der Krankenversicherung bringt.

(Quelle:Handelsblatt,Finn Mayer-Kuckuk)

Suggest To A Friend
  Print